Keine Zeit für Vampire
schluchzend. Ich schwang das Bein über den Sattelknauf und klammerte mich gleichzeitig an den Zügeln und Thors Mähne fest. »Wir müssen schnellstens in die Stadt. Hat dieses Pferd einen dritten Gang oder was auch immer man braucht, damit es auf den Turbomodus umschaltet?«
»Was ist passiert? Weshalb zitterst du? Wenn du noch fester an den Zügeln zerrst, wird Thor das als Signal verstehen, sich aufzubäumen, und dann endest du wieder auf dem Erdboden.«
»Ich werde verrückt. Ich höre Stimmen in meinem Kopf.« Die Worte schlüpften mir ohne mein Zutun über die Lippen. Ich löste hastig eine verkrampfte Hand von den Zügeln und schlug sie mir auf den Mund. Dabei ließ ich Nikola nicht aus den Augen und erwartete gespannt seine Reaktion auf mein wirres Geständnis.
Er hob eine glänzende, schwarze Augenbraue. Sonst nichts.
Seltsamerweise fühlte ich mich dadurch besser.
Das ist zwar durchaus verwunderlich, doch womöglich gibt es eine logische Erklärung dafür.
»Aah«, schrie ich. »Jetzt geht das schon wieder los. Schnell, ich muss dringend zum Arzt, bevor sich mein Hirn noch mehr zersetzt.«
5
12. Juli 1703
Es war Nikola nicht ganz klar, woher er instinktiv gewusst hatte, dass die Frau mit dem befremdlichen Namen kurz davorstand, den Verstand zu verlieren. Jedenfalls hatte sich dieser angeborene, männliche Instinkt genau im richtigen Moment gemeldet, um ihn davon abzuhalten, Io in dem Punkt zu widersprechen, dass der nächstgelegene Arzt ihren mentalen Schwierigkeiten Linderung verschaffen könnte (Herr Doktor Huebe behandelte ja nicht ausschließlich vierbeinige, sondern auch durchaus zweibeinige Patienten), sondern hatte ihn dazu veranlasst, sich ihrem Wunsch zu fügen und mit ihr in die Stadt zu reiten.
»Du bist keine sehr gute Reiterin, und damit meine ich gut im allerweitesten Sinne«, bemerkte er etwa zehn Minuten später in unverfänglichem Plauderton. Gerade hatte er sie auffangen müssen, weil sie beinahe aus dem Sattel gerutscht wäre. Er hatte sie zurück an ihren Platz geschoben und mit Thor mitgelitten, als sie erneut die Hand in seiner Mähne vergraben hatte. »Du bist nicht einmal annähernd mittelmäßig.«
»Na, das liegt nur an diesem bescheuerten Sattel«, gab sie unangemessen bissig zurück. »Das ist das blödeste und frauenfeindlichste Ding, das jemals erfunden wurde. Ich wette, der Mann, der diesen Sattel erfunden hat, hat damit beabsichtigt, dass sich Frauen unterwürfig und hilflos fühlen.«
»Frauen sind unterwürfig und hilflos«, gab Nikola zu bedenken und bewahrte sie, als sie herumfuhr, um ihn zornig anzustarren, erneut vor einem Sturz. »So ist es nun mal, und wenn du endlich einmal still sitzen würdest, so könntest du es möglicherweise schaffen, für längere Zeit auf dem Sattel zu bleiben, anstatt ständig von Thors Rücken zu rutschen.«
»Du kannst dich von mir aus für Mister 1700-Superbaron halten, aber solange ich nicht mit Sicherheit weiß, ob mein armes Gehirn den Dienst eingestellt hat und ich einen Nervenzusammenbruch erlitten habe und deshalb Stimmen höre, spiele ich dein kleines Historienspiel nicht mit. Also hör auf, mir auf die Nerven zu fallen, und erklär mir lieber, wie man dieses Pferd schneller werden lässt. Wir reiten schon eine halbe Ewigkeit, und die Stadt ist noch immer nicht in Sicht.«
»Wenn wir schneller reiten würden, würdest du doch nur wieder vom Pferd fallen«, gab er zu bedenken und ignorierte ganz einfach ihr wirres, wenngleich amüsantes Gerede.
Er fand sie in der Tat amüsant, wie er sich zu seinem eigenen Entsetzen eingestehen musste. Wie lange war es schon her, dass er ein Gespräch mit einer Frau unterhaltsam gefunden hatte?
Chauvinistenschwein .
Wo mochte dieser Gedanke wohl herkommen? Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, wo diese Chauvinisten lebten, und auch nicht, weshalb ihm ausgerechnet jetzt ihre Borstentiere in den Sinn kamen. Wahrscheinlich hatte etwas, das Io gesagt hatte, eine lang vergessene Erinnerung in ihm geweckt.
»Oh Mann, ich drehe bald durch. Bitte Nikola, lenk mein wirres Hirn ein bisschen ab!«, flehte Io.
Nikola erwog, Io darauf hinzuweisen, dass er es nicht gewohnt war, Befehle entgegenzunehmen, und schon gar nicht, sie zu befolgen, doch er musste sich eingestehen, dass er die Konversation mit ihr bei Weitem nicht so ermüdend fand wie sonst, wenn er mit einer Frau sprach.
Hundesohn!
»Na?«, hakte sie nach, und obwohl sie nur ein einziges Wort sagte, war ihre Ungeduld
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