Keine Zeit für Vampire
weißt du das? Selbst wenn wir das Jahr 1703 schreiben würden – und so geistig verwirrt, dass ich dir das abnehmen würde, bin ich bisher noch nicht –, also, selbst wenn diese Behauptung der Wahrheit entspräche, dann wäre dein Benehmen trotz allem ziemlich unerträglich.«
»Nicht mehr als dein Beharren, dass ich dich in Bezug auf das Datum belüge«, entgegnete er gereizt. »Und deine Behauptungen sind völlig haltlos. Ich bin nicht unerträglich, sondern die Großherzigkeit in Person, denn anderenfalls würde ich von dir Wiedergutmachung für den Schaden fordern, den Heinrich erlitten hat, ganz zu schweigen von den Unannehmlichkeiten, die du meinem Haushalt bereitest, weil du dich vor mein Pferd geworfen und mich so dazu genötigt hast, dich bei mir aufzunehmen. Ein weniger großherziger Mann, ein unerträglicher Mann, hätte dich, wie es der alte Ted vorgeschlagen hat, deinem Schicksal überlassen. Dass du nun hier bist und mich mit den abscheulichsten Beleidigungen bedenkst, beweist eindeutig das Gegenteil.«
»Ich mag es, wie du sprichst.« Langsam folgte ich ihm die Stufen hinab, bis ich schließlich neben ihm stand. »Ich begreife zwar nicht, weshalb du einen englischen und keinen österreichischen Akzent hast, aber trotzdem hört es sich schön an.«
»Ich habe einige Jahre in England verbracht«, erläuterte er. »Meine Mutter war Engländerin, mein Vater stammt aus Mähren. Das habe ich bereits erwähnt, doch du bevorzugst offenbar, diese Tatsache zu ignorieren. Weshalb, verstehe ich nicht. Das ist wohl eine deiner vielen Eigenheiten. Ich werde sie zur Kenntnis nehmen und ignorieren, denn es gibt Wichtigeres zu besprechen, wie zum Beispiel, wer dir von dem Fluch berichtet hat, woher du meine Kinder kennst und was du auf der Straße zu suchen hattest, um meiner Kutsche aufzulauern.« Er kniff die Augen zusammen. »Langsam glaube ich, dass du damit von deiner Beziehung zu Rolf ablenken willst.«
Ich ließ ihn kopfschüttelnd stehen und sah mich in der Empfangshalle um. Auch hier leuchteten unzählige Kerzen, und im großen offenen Kamin brannte ein Feuer. Ich ging auf eine Doppeltür zu, die nach draußen führen musste. »Meines Wissens habe ich noch nie einen Ralph getroffen …«
»Rolf …«
»Auch keinen Rolf, weshalb ich folgerichtig auch nicht von meiner Beziehung zu ihm ablenken muss. Ich gehe jetzt in die Stadt. Wie weit ist es bis dorthin?«
»Über die Straße etwa sieben Kilometer. Kürzer als die Luftlinie.«
Ich zog eine der Türen auf. Kühle Nachtluft wirbelte mir entgegen, und ich rieb mir fröstelnd die nackten Arme. Die Finsternis draußen wurde nur hie und da von einem schwach beleuchteten Fensterumriss durchbrochen. Unter meinen Füßen hörte ich Kies knirschen, als ich einige Schritte vom Haus wegtrat und mich dann nach meiner momentanen Bleibe umdrehte.
Es war gar kein Haus, sondern eine Burg. Direkt vor meiner Nase erhob sich eine große, alte, aus grobem Stein gemauerte Burg. Ich legte den Kopf so weit es ging zurück und ließ den Blick über das bröckelnde Mauerwerk und den hohen Wehrturm vor mir wandern. Eine Burg mit Turm. Natürlich. Wo sollte ich auch sonst gelandet sein als in einer weiß-Gott-wie-viele-Hundert-Jahre-alten Burg.
»Das sieht genauso aus wie auf dem Gemälde von der Andrasburg, das in Gretls Esszimmer hängt«, bemerkte ich und rieb mir wieder die kalten Arme.
Nikola schnalzte ungeduldig mit der Zunge, zog sich den Mantel aus und legte ihn mir über die Schultern. »Das liegt daran, dass das hier die Andrasburg ist .«
Ich sah ihn an.
Er erwiderte meinen Blick völlig gelassen.
»Ich gehe in die Stadt«, erklärte ich. »Wo geht’s lang?«
Er wies über meine Schulter hinweg. Ich wandte mich um und marschierte los. Dabei registrierte ich enttäuscht, dass er mir nicht folgte.
»Du brauchst ihn nicht«, machte ich mir selbst weis. Offenbar wollte er mich einfach mit seinem schicken Mantel davonziehen lassen. Ich blickte zurück. Er stand an der Tür und sah mir nach. Der Mistkerl winkte nicht mal zum Abschied. »Nur weil er die weltbesten Knutschflecke produziert, heißt das noch lange nicht, dass du dich mit ihm einlassen musst. Er ist herrisch und eingebildet und hält sich für den Oberboss, auf dessen Befehl hin alle springen müssen. Wenn du immer noch nicht kapiert hast, dass diese Art Mann nur Ärger bedeutet, musst du tatsächlich verrückt geworden sein.«
Doch die Ermahnung zeigte keine große Wirkung und schon gar nicht mehr
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