Keine Zeit für Vampire
ihn dafür aus Ios wütend funkelnden Augen traf, hätte ihn eigentlich auf der Stelle niederstrecken müssen. Nur konnte er nicht sterben. Nicht mehr.
»Das reicht jetzt. Sieh mich an. Siehst du diesen Gesichtsausdruck? Macht er dir Angst? Das sollte er. Das ist das Gesicht einer Frau, die einmal zu oft vom Pferd gefallen ist. Kapiert? Gut. Also, über welche Frau hast du gerade so schlimme Dinge gesagt?«
»Über Demeter. Außerdem habe ich mich beinahe dazu hinreißen lassen, meine Ansichten über deine Schenkel laut auszusprechen, doch ich dachte mir, dass du sie in Anbetracht der Lage nicht hören willst.«
»Meine Schenkel?«
»Nein, meine Ansichten. Schenkel kann man doch nicht hören. Außer natürlich, sie sind um den Kopf geschlungen und reiben sich an den Ohren.« Die Vorstellung allein zwang ihn beinahe in die Knie. Im übertragenen Sinne.
Io saß einen Augenblick wie erstarrt. Ihre Finger waren in seinen Mantel gekrallt. »Oh, warum nur habe ich meinen rosa Pinguin zu Hause gelassen?«
Nikola war unschlüssig, was er auf diese Frage am besten erwidern könnte. Da er aber trotz des mächtigen Pulsierens in seiner Hose in versöhnlicher Stimmung war, wagte er einen Versuch. »Wahrscheinlich war auf dem Schiff, mit dem du nach Europa gesegelt bist, das Mitführen von Pinguinen nicht gestattet. Ich muss gestehen, dass ich selbst noch niemals einen rosa Pinguin zu Gesicht bekommen habe, obwohl ich mich sehr für Naturkunde interessiere. In den Büchern, die ich gelesen habe, wird ihr Gefieder als schwarz, weiß oder grau beschrieben und nur von farbigen Federn am Kopf berichtet.«
»Nein, ich … ähm … ich meine keinen echten Pinguin.« Eigenartigerweise schien Io dieses Konversationsthema plötzlich peinlich zu sein, was Nikola über alle Maßen verwirrte. »Das ist mein elektrischer Freund. Er sieht nur aus wie ein Pinguin.«
Nikola zog nachdenklich die Stirn in Falten, allerdings nicht, weil sie sich einem Abschnitt der Straße näherten, der in tiefem Schatten lag, denn selbst in einer mondlosen Nacht hätte er den Weg problemlos erkennen können. Was ihn jedoch nachdenklich stimmte, war, dass er nicht nachvollziehen konnte, worüber sie sprach. Er verabscheute zutiefst, außen vor zu sein. »Was ist ein elektrischer Freund? Etwas Derartiges ist mir nicht bekannt. Du wirst mir erklären müssen, worum es sich dabei handelt.«
»Na ja, es ist mein kleiner Freudenspender.«
Seine Verwirrung wuchs.
»Damit … bearbeite ich meinen Venushügel.«
»Hügel? Sprechen wir über Gartenbau?«
»Nein, nicht solch ein Hügel. Oh Gott, du möchtest es ganz genau wissen, oder?« Sie seufzte genervt, und ihr Atem kitzelte ihn an der Wange. »Als ob mein Leben nicht schon erbärmlich genug wäre. Jetzt sitze ich auch noch bei einem fremden Kerl auf dem Schoß und diskutiere mit ihm über Vibratoren.«
»Weib! Das tut Ihr mit Vorsatz!« Nikola verlor die Geduld. Er hielt das Pferd an und schob Io ein wenig zur Seite, damit er in eine seiner Manteltaschen greifen konnte.
»Was? Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht? Hey! Halt still, sonst falle ich wieder runter und ich habe mein heutiges Soll an Stürzen bereits erreicht!« Sie hatte die Augen erschrocken aufgerissen und beide Arme um seinen Hals geschlungen. Nikola mühte sich, die Hand wieder aus der Manteltasche zu ziehen. »Oh mein Gott, du willst mich erschießen!«
»Nein, das will ich nicht, wenn ich auch zugeben muss, dass der Gedanke durchaus verlockend ist. Strample nicht so wild, sonst wird Demeter unruhig, und gib meinen Arm frei, damit ich ihn bewegen kann.«
Sie sah ihn fragend an. »Damit du eine Kanone oder einen Morgenstern oder was auch immer ziehen und dich an mir rächen kannst für … für … Ach, zur Hölle, ich hab keine Ahnung, weshalb du dich an mir rächen wollen könntest. Schließlich bin ich diejenige, die den ganzen Abend zu Boden gegangen ist.«
Allein durch vorzügliches reiterliches Können schaffte es Nikola, nicht nur sein eigenes Reittier, sondern auch noch den neugierigen Thor, der ihm auf der Suche nach Leckereien mit der Schnauze beständig in den Rücken stieß, und die Wildkatze in seinen Armen unter Kontrolle zu halten. »Ich habe genug davon, dass du beharrlich mit deinem Wissen vor mir protzt«, knurrte er und zog die Hand wieder aus der Tasche. In ihr lag ein kleines Notizbuch.
»Was bitte tue ich? Welches Wissen?« Io saß nun wieder still und beobachtete interessiert, wie er das Heft aufschlug und
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