Keine zweite Chance
würdest mich zurückweisen, und ich wusste nicht, ob ich das ausgehalten hätte.«
Dann schwiegen wir. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht einmal, wie ich mich fühlte.
»Bist du wütend?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht.«
Wir fuhren weiter. Ich wollte unbedingt das Richtige tun. Ich überlegte, was das sein könnte. Wir starrten stur geradeaus. Die Spannung ließ nicht nach. Schließlich sagte ich: »Es spielt keine Rolle mehr. Das Einzige, was zählt, ist die Suche nach Tara.«
Ich sah Rachel an. Eine Träne lief ihr die Wange hinunter. Dann erschien das Schild vor uns – klein, dezent, leicht zu übersehen. Darauf stand nichts weiter als: HUNTERSVILLE. Rachel wischte die Träne weg und setzte sich auf. »Dann wollen wir uns mal darauf konzentrieren.«
Der stellvertretende Direktor Joseph Pistillo saß an seinem Schreibtisch und schrieb. Er war ein großer, breitschultriger Mann mit Glatze, einer jener bejahrten Männer, bei deren Anblick einem Hafenarbeiter und Kneipenschlägereien in den Sinn kamen – reichlich Kraft ohne Angebermuskulatur. Pistillo war wohl schon über sechzig. Gerüchten zufolge sollte er bald in Pension gehen.
Special Agent Claudia Fisher führte Tickner ins Büro und schloss die Tür hinter sich, als sie ging. Tickner nahm die Sonnenbrille ab, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und
blieb stehen. Er wurde nicht aufgefordert, Platz zu nehmen. Er wurde nicht begrüßt, sie schüttelten sich nicht die Hände, salutierten nicht, nichts dergleichen.
Ohne ihn anzusehen, sagte Pistillo: »Ich höre, Sie haben sich nach dem Tod von Special Agent Jerry Camp erkundigt.«
In Tickners Kopf schrillten die Alarmglocken. Mann, das war aber schnell gegangen. Er hatte erst vor ein paar Stunden angefangen, Nachforschungen anzustellen. »Ja, Sir.«
Pistillo schrieb weiter. »Er war Ihr Ausbilder in Quantico, nicht wahr?«
»Ja, Sir.«
»Er war ein großartiger Ausbilder.«
»Einer der besten, Sir.«
»Der beste, Agent.«
»Ja, Sir.«
»Ihre Erkundigungen über seinen Tod«, fuhr Pistillo fort, »stehen die in irgendeinem Zusammenhang mit Ihrer früheren Beziehung zu Special Agent Camp?«
»Nein, Sir.«
Pistillo hörte auf zu schreiben. Er legte den Kugelschreiber aus der Hand und faltete seine Maurerhände auf dem Schreibtisch. »Und warum wollen Sie dann etwas darüber wissen?«
Tickner ging seine Antwort nach Fallgruben und Fußangeln durch. »Der Name seiner Frau ist im Zuge einer anderen Ermittlung aufgetaucht, an der ich derzeit arbeite.«
»Handelt es sich dabei um den Mord- und Entführungsfall Seidman?«
»Ja, Sir.«
Pistillo zog die Brauen zusammen und legte die Stirn in Falten. »Glauben Sie, es gibt eine Verbindung zwischen dem tragischen, durch einen Schuss verursachten Unfalltod von Jerry Camp und der Entführung von Tara Seidman?«
Vorsichtig, dachte Tickner. Ganz vorsichtig. »Ich muss diese Möglichkeit in Betracht ziehen.«
»Nein, Agent Tickner, das müssen Sie nicht.«
Tickner sagte nichts.
»Wenn Sie eine Verbindung zwischen Rachel Mills und dem Fall Seidman herstellen können, dann tun Sie das. Beweisen Sie, dass sie etwas damit zu tun hatte. Aber Camps Tod hat nichts damit zu tun.«
»Es könnte Zusammenhänge geben«, beharrte Tickner.
»Nein«, sagte Pistillo in einem Ton, der keinen Raum für Zweifel ließ, »die gibt es nicht.«
»Aber ich muss untersuchen …«
»Agent Tickner?«
»Ja, Sir.«
»Ich habe mir die Akte schon angesehen«, sagte Pistillo. »Mehr noch, ich war persönlich an den Ermittlungen zu Jerry Camps Tod beteiligt. Er war mein Freund. Ist das klar?«
Tickner antwortete nicht.
»Ich bin der festen Überzeugung, dass es sich bei diesem Schuss um einen tragischen Unfall gehandelt hat. Und das bedeutet, dass Sie, Agent Tickner …«, Pistillo zeigte mit einem fleischigen Finger auf Tickners Brust, »… diese Überzeugung teilen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
Die beiden Männer starrten sich an. Tickner war kein Idiot. Er mochte seine Arbeit beim FBI. Er wollte Karriere machen. Einen Mann in Pistillos Position gegen sich aufzubringen, zahlte sich nicht aus. Also wandte er als Erster den Blick ab.
»Ja, Sir.«
Pistillo entspannte sich. Er nahm seinen Kugelschreiber wieder in die Hand. »Tara Seidman ist jetzt seit über einem Jahr verschwunden. Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, dass sie noch am Leben ist?«
»Nein, Sir.«
»Dann ist es nicht mehr unser Fall.« Er fing wieder
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