Keine zweite Chance
Marc.«
»Wir wissen, dass der Anruf gestern Nacht gemacht wurde.«
Verne schüttelte den Kopf. »Nein. Ausgeschlossen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich war die letzte Nacht nicht zu Hause. Ich war unterwegs, hab was ausgeliefert. Ich bin erst ’ne halbe Stunde vor Ihnen zurückgekommen. Hab Sie entdeckt, als Munch – mein Hund – angefangen hat, so tief zu knurren. Das Bellen bedeutet nicht viel. Aber wenn er so tief knurrt, dann ist jemand in der Nähe.«
»Moment. War gestern überhaupt niemand hier?«
Er zuckte die Achseln. »Doch, schon, meine Frau und die Jungs. Aber die Jungs sind drei und sechs Jahre alt. Ich glaub nicht, dass die bei dem angerufen haben. Und ich kenne Kat. So spät nachts telefoniert die auch nicht mehr.«
»Kat?«, fragte ich.
»Meine Frau. Kat. Abkürzung für Katarina. Sie ist aus Serbien.«
»Soll ich Ihnen ein Bier mitbringen, Marc?«
Ich war selbst überrascht, als ich mich sagen hörte: »Das wäre nett, Verne.«
Verne Dayton hatte die Plastikfesseln durchgeschnitten. Ich rieb mir die schmerzenden Handgelenke. Rachel saß neben mir. Er hatte ihr nichts getan. Er hatte uns trennen wollen, zum Teil, wie er sagte, weil er dachte, ich hätte sie so zugerichtet und sie dann gezwungen, mir zu helfen. Verne besaß eine wertvolle Waffensammlung – viele Gewehre waren noch funktionstüchtig –,
und viel zu viele Leute interessierten sich etwas zu sehr dafür. Er dachte, wir gehörten auch dazu.
»Ein Bud?«
»Gerne.«
»Und Sie, Rachel?«
»Nein, danke.«
»Eine Cola vielleicht? Oder Eiswasser?«
»Wasser wäre prima, danke.«
Verne lächelte, was nicht unbedingt ein schöner Anblick war. »Kein Problem.« Wieder rieb ich mir die Handgelenke. Er sah es und grinste. »Die haben wir im Golfkrieg benutzt. Damit hat man die Iraker im Griff, das sag ich Ihnen.«
Er verschwand in der Küche. Ich sah Rachel an. Sie zuckte die Achseln. Verne kam mit zwei Budweisern und einem Glas Wasser zurück. Er verteilte die Getränke und hob die Flasche, damit ich mit ihm anstoßen konnte. Ich tat es. Er setzte sich.
»Ich hab selbst zwei Kinder. Jungs. Verne junior und Perry. Wenn denen was passieren würde …« Verne stieß einen tiefen Pfiff aus und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie Sie jeden Morgen aus dem Bett kommen.«
»Ich suche nach ihr und hoffe, dass ich sie finde«, sagte ich.
Verne nickte zustimmend. »Ich glaub, das versteh ich. Solange man sich nichts vormacht, wenn Sie wissen, was ich meine?« Er sah Rachel an. »Und Sie sind vollkommen sicher, dass es meine Telefonnummer war?«
Rachel holte das Handy aus ihrer Tasche. Sie drückte ein paar Tasten und zeigte ihm das Display. Nachdem Verne mit den Lippen eine Winston aus der Schachtel gezogen hatte, schüttelte er den Kopf. »Kapier ich nicht.«
»Wir hoffen, dass Ihre Frau uns weiterhelfen kann.«
Er nickte langsam. »Sie hat mir ’n Zettel geschrieben, auf dem steht, dass sie einkaufen fährt. Kat macht das gern frühmorgens.
Im A&P-Supermarkt. Der hat rund um die Uhr offen.« Er wurde still. Ich glaube, Verne war etwas hin- und hergerissen. Er wollte uns helfen, wollte jedoch nicht wahrhaben, dass seine Frau um Mitternacht mit einem anderen Mann telefoniert hatte. Er hob den Kopf. »Rachel, soll ich Ihnen ein paar frische Verbände besorgen?«
»Nicht nötig, danke.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja, danke.« Sie hielt das Wasserglas in beiden Händen. »Verne, darf ich fragen, wie Sie und Katarina sich kennen gelernt haben?«
»Online«, sagte er. »Sie wissen schon, so eine Website für ausländische Bräute. Cherry Orchid heißt die. Früher hat man das Mail Order genannt, aber das machen die jetzt nicht mehr. Jedenfalls geht man da auf die Website. Da sind Bilder von Frauen aus der ganzen Welt drauf – Osteuropa, Russland, den Philippinen, von überall. Da stehen dann die Maße, ein kurzer Lebenslauf, Hobbys und Abneigungen und so was. Wenn einem eine gefällt, kann man die Adresse kaufen. Man kriegt auch Rabatt, wenn man mehr als einer schreiben will.«
Rachel und ich sahen uns kurz an. »Wie lange ist das her?«
»Sieben Jahre. Am Anfang haben wir uns E-Mails geschickt und so. Kat hat auf ’nem Bauernhof in Serbien gewohnt. Ihre Eltern hatten nichts. Sie musste sechs Kilometer laufen, um an den Internet-Anschluss ranzukommen. Ich wollte dann auch mal bei ihr anrufen, wissen Sie, und am Telefon mit ihr reden, aber die hatten gar keins. Deshalb musste sie immer mich anrufen. Und dann hat
Weitere Kostenlose Bücher