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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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wieder ein und trat an die Glasscheibe. Lydia drückte den Zettel so dagegen, dass Tatiana ihn lesen konnte.
    Als würde man eine verängstigte Katze unter der Couch hervorlocken. Tatiana bewegte sich langsam. Sie kam ans Fenster. Lydia blieb ruhig stehen, als wollte sie sie nicht erschrecken. Tatiana beugte sich näher an den Zettel heran. Komm, Miez, Miez. Jetzt konnte Lydia das Gesicht des Mädchens erkennen. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte zu lesen, was auf dem Zettel stand.
    Als Tatiana nahe genug war, drückte Lydia den Lauf ihrer Pistole
ans Fenster und zielte zwischen die Augen des Mädchens. Im letzten Moment versuchte Tatiana noch auszuweichen. Doch es war zu spät. Die Kugel durchschlug das Glas und drang in Tatianas rechtes Auge. Blut spritzte. Lydia drückte noch einmal ab, wobei sie die Waffe instinktiv etwas senkte.
    Der Schuss traf das zusammenbrechende Mädchen mitten in die Stirn. Aber die zweite Kugel war überflüssig gewesen. Der erste Schuss war durchs Auge direkt ins Hirn gedrungen und hatte Tatiana sofort getötet.
    Lydia eilte davon. Sie riskierte einen Blick hinter sich. Nichts. Am benachbarten Einkaufszentrum warf sie die Perücke und die weiße Jacke in den Müll. Ihr Wagen stand auf einem Parkplatz einen Kilometer weiter.

    Als ich am MetroVista war, rief ich Rachel an. Sie saß in ihrem Wagen, am anderen Ende der Straße, in der Denise Vanechs Haus stand. Wir waren bereit.
    Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt hatte. Ich hatte wohl gedacht, ich würde einfach in Bacards Büro platzen, ihm die Pistole unter die Nase halten und Antworten fordern. Den ganz normalen Empfangsbereich hatte ich nicht eingeplant – Steven Bacard hatte ein piekfeines Wartezimmer mit Sekretärin. Zwei Leute saßen in den Sesseln – allem Anschein nach ein Ehepaar. Der Mann hatte sich in die hier ausliegende Sports Illustrated versenkt. Seine Frau schien Schmerzen zu haben. Sie versuchte, mir zuzulächeln, doch es gelang ihr nur mit Mühe.
    Mir wurde klar, dass ich ziemlich abgerissen aussehen musste. Ich trug immer noch die OP-Kluft, hatte mich länger nicht mehr rasiert, und meine Augen waren zweifelsohne vom Schlafmangel gerötet. Meine Haare standen vermutlich hoch wie in einem Lehrbuch für Comiczeichner zum Eintrag »Gerade aufgestanden«.

    Die Sekretärin saß hinter einem dieser Schiebefenster, die ich meist mit Zahnarztpraxen in Verbindung bringe. Die Frau – auf einem kleinen Namensschild stand Agnes Weiss – lächelte mich freundlich an.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich möchte Mr Bacard sprechen.«
    »Haben Sie einen Termin?« Sie war freundlich, ihr Tonfall enthielt jedoch einen Hauch Ironie. Sie kannte die Antwort.
    »Es ist ein Notfall«, sagte ich.
    »Verstehe. Sind Sie ein Mandant von uns, Mr …«
    »Doktor«, fauchte ich instinktiv zurück. »Sagen Sie ihm, Dr. Marc Seidman muss ihn auf der Stelle sprechen. Sagen Sie, es handelt sich um einen Notfall.«
    Das junge Paar sah uns an. Das freundliche Lächeln der Sekretärin begann zu verblassen. »Mr Bacard hat heute sehr viele Termine.« Sie schlug den Terminkalender auf. »Ich schaue mal nach, wann was frei ist, ja?«
    »Agnes, sehen Sie mich an.«
    Sie tat es.
    Ich musterte sie mit meiner ernstesten, Sie-könnten-sterben-wenn-ich-nicht-sofort-operiere-Miene. »Sagen Sie ihm, dass Dr. Seidman hier ist. Sagen Sie ihm, dass es sich um einen Notfall handelt. Sagen Sie ihm, wenn er nicht sofort mit mir spricht, gehe ich zur Polizei.«
    Das junge Paar wechselte Blicke.
    Agnes rutschte auf ihrem Stuhl zurück. »Wenn Sie eben Platz …«
    »Sagen Sie’s ihm.«
    »Sir, wenn Sie nicht sofort zurücktreten, rufe ich den Sicherheitsdienst.«
    Ich trat einen Schritt zurück. Schließlich konnte ich jederzeit wieder vortreten. Agnes griff nicht zum Telefon. Ich trat noch einen
Schritt zurück. Sie schloss das Schiebefenster. Das Paar sah mich an. Der Mann sagte: »Sie deckt ihn.«
    Die Frau mahnte: »Jack!«
    Jack beachtete sie nicht. »Bacard ist vor einer halben Stunde abgehauen. Die Sekretärin sagt die ganze Zeit, er kommt gleich zurück.«
    Ich hatte eine Wand mit Fotos gesehen. Die betrachtete ich jetzt näher. Auf allen war derselbe Mann zu sehen, zusammen mit diversen Politikern, mehr oder weniger Prominenten und fett gewordenen Ex-Sportlern. Steven Bacard, wie ich annahm. Ich sah mir das Gesicht des Mannes an – pausbäckig, fliehendes Kinn, Country-Club-Glanz.
    Ich bedankte mich bei Jack und ging zur Tür. Bacards

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