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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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hatte, als gegen das Ergebnis.
    Er hatte natürlich Recht. Ich hatte Mist gebaut.
    Ich versuchte, bei den Ermittlungen zu helfen, doch die Polizei machte keinerlei Anstalten, mich darin zu ermutigen. Im Kino arbeiten die Behörden mit den Opfern zusammen und halten sie auf dem Laufenden. Selbstverständlich stellte ich Tickner und Regan viele Fragen über den Fall. Sie gaben mir keine Antworten. Sie sprachen nie über irgendwelche Einzelheiten. Mein Interesse schien sie fast mit Verachtung zu erfüllen. Ich wollte zum Beispiel genauer wissen, wie meine Frau aufgefunden worden war und warum sie nackt gewesen war. Sie mauerten.

    Lenny war häufig bei mir zu Hause. Er konnte mir kaum in die Augen sehen; er fühlte sich schuldig, weil er mir geraten hatte, die Polizei hinzuzuziehen. Regans und Tickners Mienen schwankten zwischen der Reue, dass alles danebengegangen war, und einer anderen Art von Reue, die wohl darauf zurückzuführen war, dass sie in mir, dem trauernden Ehemann und Vater, den Drahtzieher hinter dem Ganzen sahen. Sie wollten alles über meine problematische Ehe mit Monica wissen. Sie wollten alles über die verschwundene Pistole wissen. Es war genau so, wie Lenny prophezeit hatte. Je mehr Zeit verging, desto stärker richtete sich der Blick der Behörden auf den einzigen greifbaren Verdächtigen.
    Meine Wenigkeit.
    Nach einer Woche nahm die Präsenz des FBI und der Polizei ab. Tickner und Regan kamen nicht mehr sehr oft. Sie sahen häufiger auf die Uhr. Sie entschuldigten sich, weil sie in anderen Angelegenheiten telefonieren mussten. Ich hatte dafür natürlich vollstes Verständnis. Neue Spuren gab es nicht. Die Lage beruhigte sich. Halb begrüßte ich die Atempause.
    Und dann, am neunten Tag, wurde alles anders.
    Kurz nach zehn Uhr abends zog ich mich aus, um ins Bett zu gehen. Ich war allein. Ich liebe meine Mutter und meine Freunde, aber ihnen wurde langsam klar, dass ich Zeit brauchte, um zu mir zu kommen. Sie waren also alle vor dem Abendessen gegangen, das ich mir von Hunan Garden hatte liefern lassen und eingedenk der Mahnungen meiner Mutter auch gegessen hatte, um zu Kräften zu kommen.
    Ich sah auf den Wecker. Daher weiß ich, dass es genau 22 Uhr 18 war. Dann schweifte mein Blick durchs Zimmer und zum Fenster. Im Dunkeln, fast hätte ich es nicht bemerkt — bewusst war mir sowieso nichts aufgefallen –, blieb mein Blick an irgendetwas hängen. Ich sah noch einmal genauer hin.
    Eine Frau stand steif wie eine Statue auf dem Gehweg und
starrte das Haus an. Zumindest vermute ich, dass sie das Haus anstarrte. Genau konnte ich es nicht sagen. Ihr Gesicht war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Sie hatte lange Haare — das verriet die Silhouette — und trug einen langen Mantel. Die Hände hatte sie in die Manteltaschen gesteckt.
    Sie stand einfach nur da.
    Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte. Die Nachrichten hatten natürlich über uns berichtet. Zu jeder Tages- und Nachtzeit waren Reporter vorbeigekommen. Ich blickte die Straße entlang. Es waren weder Autos noch Übertragungsfahrzeuge vom Fernsehen oder sonst irgendetwas zu sehen. Offenbar war sie zu Fuß gekommen. Auch das war nichts Ungewöhnliches. Ich wohne in einem bürgerlichen Vorort. Die Leute gehen hier andauernd spazieren, meist mit einem Hund, einem Partner oder beidem, aber es ist auch nichts Besonderes, wenn eine Frau einmal alleine unterwegs ist.
    Warum war sie dann stehen geblieben?
    Krankhafte Neugier, nahm ich an.
    Sie schien ziemlich groß zu sein, was jedoch auch Einbildung sein konnte, da es eigentlich kaum zu erkennen war. Ich überlegte, was ich tun sollte. Ein unbehagliches Gefühl machte sich in mir breit. Ich griff nach meinem Sweatshirt und zog es über den Pyjama. Dann schlüpfte ich noch in eine Trainingshose. Wieder sah ich aus dem Fenster. Die Frau schrak zusammen.
    Sie hatte mich gesehen.
    Sie drehte sich um und ging mit schnellen Schritten davon. Etwas schnürte mir die Brust ein. Ich versuchte, das Fenster hochzuschieben. Es klemmte. Ich schlug gegen den Rahmen, um es zu lösen, und probierte es noch einmal. Widerstrebend gab es ein paar Zentimeter nach. Ich bückte mich und rief durch den Spalt:
    »Warten Sie!«
    Sie ging schneller.

    »Bitte, warten Sie einen Moment.«
    Sie fing an zu rennen. Scheiße. Ich drehte mich um und rannte zur Tür, ihr nach. Ich wusste nicht, wo meine Hausschuhe waren, und für richtige Schuhe war keine Zeit. Ich lief hinaus. Das Gras kitzelte unter meinen Füßen.

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