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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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so tief in die Stirn gezogen, dass der Schirm die Sonnenbrille berührte. Ich griff nach dem Schlüssel und drehte ihn ein kleines Stück. Die Lichter am Armaturenbrett leuchteten auf. Wieder drückte ich auf den Knopf des Fensterhebers. Die Fenster glitten herunter.
    Noch einmal versuchte ich, charakteristische Merkmale an dem Mann zu entdecken. Er schwankte etwas beim Gehen, als hätte er getrunken, machte allerdings keinen nervösen Eindruck. Sein Gesicht war unrasiert und fleckig. Er hatte schmutzige Hände. Seine schwarze Jeans war am rechten Knie zerrissen. Seine Turnschuhe, hohe Converse-Leinenschuhe, hatten schon bessere Tage gesehen.
    Als der Mann nur noch zwei Schritte vom Wagen entfernt war, nahm ich allen Mut zusammen und hob die Tasche ans Fenster. Ich hielt die Luft an. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, ergriff der Mann das Geld, drehte sich um und ging zurück zum Lieferwagen. Jetzt schien er etwas schneller zu gehen. Die Hintertür des Lieferwagens öffnete sich, er sprang hinein, und die Tür fiel hinter ihm sofort wieder zu. Es war fast, als hätte der Lieferwagen ihn verschluckt.

    Der Fahrer ließ den Motor an. Der Lieferwagen fuhr los, und jetzt erst sah ich, dass es doch noch eine zweite Zufahrt von einer Seitenstraße gab. Der Lieferwagen raste dort hinab und verschwand.
    Ich war allein.
    Ich blieb, wo ich war, und wartete auf das Klingeln des Handys.
    Mein Herz raste. Ich war schweißnass. Es kam kein weiteres Auto. Der Asphalt war rissig. Aus den Müllcontainern ragten alte Pappkartons. Der Parkplatz war mit zerbrochenen Flaschen übersät. Ich starrte auf den Boden und versuchte, die Schriftzüge der ausgebleichten Flaschenetiketten zu entziffern.
    Fünfzehn Minuten vergingen.
    Immer wieder stellte ich mir das Wiedersehen mit meiner Tochter vor, wie ich sie finden und mit leisen Worten beruhigen würde. Das Handy. Das Handy musste klingeln. Das war Teil meiner Vorstellung. Dass das Telefon klingelte und die mechanische Stimme mir Anweisungen gab. Das waren der erste und der zweite Teil. Warum klingelte das verdammte Handy nicht?
    Ein Buick Le Sabre rollte auf den Parkplatz. Er hielt in angemessener Entfernung. Den Fahrer kannte ich nicht, doch auf dem Beifahrersitz saß Tickner. Wir sahen uns an. Ich versuchte, etwas aus seiner Miene zu lesen, aber dort zeigte sich noch immer keine Regung.
    Ich starrte auf das Handy, wagte nicht, es aus dem Auge zu lassen. Das Ticken war wieder da — jetzt langsam und ohrenbetäubend.
    Es vergingen noch zehn Minuten, bis das Telefon widerwillig seine piepsige Melodie spielte. Ich hatte es schon am Ohr, bevor der Ton lauter werden konnte.
    »Hallo?«, sagte ich.
    Nichts.
    Tickner sah mich eindringlich an. Er nickte kurz, ich verstand
jedoch nicht, warum. Der Fahrer hielt das Lenkrad immer noch in beiden Händen.
    »Hallo?«, wiederholte ich.
    Die Computerstimme sagte: »Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen keine Polizei einschalten.«
    Das Blut gefror in meinen Adern.
    »Keine zweite Chance.«
    Dann verstummte das Handy.

6
    Es gab kein Entkommen.
    Ich sehnte die innere Taubheit herbei. Ich sehnte mich nach dem Koma zurück, in dem ich im Krankenhaus gelegen hatte. Ich sehnte mich nach dem Tropf mit den Betäubungsmitteln, die so reichlich geflossen waren. Man hatte mir die Haut vom Leibe gerissen. Jetzt lagen die Nervenenden bloß. Ich spürte alles.
    Hilflosigkeit und Angst überwältigten mich. Die Angst hielt mich gefangen, und die Hilflosigkeit — das schreckliche Wissen, dass ich es verbockt hatte und nichts tun konnte, um das Leid meines Kindes zu lindern — steckte mich in eine Zwangsjacke und knipste das Licht aus. Wahrscheinlich verlor ich gerade den Verstand.
    Die Tage vergingen in einem zähen Nebel. Meistens saß ich am Telefon — genau genommen sogar an mehreren Telefonen: meinem Festnetztelefon, meinem Handy und dem Handy der Kidnapper. Ich hatte mir ein Ladegerät für das Kidnapperhandy gekauft, damit ich es weiter in Betrieb halten konnte. Ich verbrachte die ganze Zeit auf der Couch. Rechts lagen die Telefone. Ich versuchte, sie nicht weiter zu beachten, mich aufs Fernsehen zu konzentrieren, weil ich mich an das alte Sprichwort erinnerte,
dass das Wasser nie zu kochen anfängt, wenn man hinschaut. Trotzdem warf ich den verdammten Telefonen immer wieder verstohlene Blicke zu, weil ich befürchtete, sie könnten irgendwie fliehen, und versuchte, sie kraft meines Willens zum Klingeln zu bringen.
    Außerdem versuchte ich, von dieser

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