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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Hause oder zur Arbeit machten. Die Angst in den Augen der Eltern war mir zuwider, aber ich verstand sie. Sie wird ein steter Begleiter, sobald ein Kind das Licht der Welt erblickt. Sie lässt einen nie los. Mein Leben war ein Paradebeispiel dafür, warum das so war.
    Cheryls blauer Chevy Suburban fuhr auf die Haltespur. Ich ging auf sie zu. Sie hatte Justin gerade aus seinem Kindersitz befreit, als sie mich sah. Justin gab ihr pflichtbewusst einen Kuss, was er wohl für selbstverständlich hielt, so wie es meiner Ansicht nach auch sein sollte, und rannte los. Cheryl sah ihm nach, als
fürchtete sie, er könnte auf dem kurzen, betonierten Weg plötzlich verschwinden. Kinder verstehen diese Angst nicht, aber das ist auch in Ordnung so. Es ist schon ohne diese zusätzliche Last schwer genug, ein Kind zu sein.
    »Hey«, begrüßte Cheryl mich.
    Ich erwiderte ihren Gruß. Dann sagte ich: »Ich brauche was von dir.«
    »Was?«
    »Rachels Telefonnummer.«
    Cheryl war schon wieder an der Fahrertür. »Steig ein.«
    »Mein Wagen steht da drüben.«
    »Ich bring dich wieder her. Der Schwimmunterricht hat länger gedauert. Ich muss Marianne zur Schule bringen.«
    Sie hatte bereits den Motor angelassen. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz. Dann drehte ich mich um und lächelte Marianne an. Sie trug einen Kopfhörer und spielte an ihrem Gameboy Advance herum. Geistesabwesend winkte sie mir zu, ohne mich wirklich anzusehen. Ihre Haare waren noch nass. Conner saß neben ihr im Kindersitz. Das Auto roch nach Chlor, aber irgendwie hatte das fast etwas Anheimelndes. Ich wusste, dass Lenny das Fahrzeuginnere mit religiösem Eifer reinigte, aber man hat einfach keine Chance. In den Spalten zwischen den Sitzen steckten Pommes frites, und auf den Polstern lagen Krümel unbekannter Herkunft. Zu meinen Füßen lagen Bekanntmachungen der Schulen und kindliche Malereien, die mit dreckigen Gummistiefeln traktiert worden waren. Ich saß auf einer der kleinen Action-Figuren, die McDonald’s den Happy Meals beilegt. Eine CD-Hülle mit dem Titel Now That’s What I Call Music 14 lag neben uns und versorgte ihre Besitzer mit dem Neuesten von Britney, Christina und irgendeiner Boygroup. Das Heckfenster war voller schmieriger Fingerabdrücke.
    Die Kinder durften nur im Wagen mit dem Gameboy spielen,
nicht im Haus. Sie durften nie, unter keinen Umständen, Filme ansehen, die nicht für ihre Altersstufe zugelassen waren. Ich habe Lenny einmal gefragt, wie Cheryl und er solche Entscheidungen trafen, und er hat geantwortet: »Es geht gar nicht so sehr um den Inhalt der Regeln, sondern eher darum, dass es welche gibt.« Ich glaube, ich weiß, was er gemeint hat.
    Cheryl sah auf die Straße. »Eigentlich stecke ich meine Nase ja nicht in Sachen, die mich nichts angehen.«
    »Aber du willst wissen, was ich vorhabe.«
    »Ja, wüsste ich gerne.«
    »Und wenn ich’s dir nicht erzählen will?«
    »Vielleicht«, sagte sie, »ist es dann besser so.«
    »Vertrau mir, Cheryl. Ich brauche die Nummer.«
    Sie setzte den Blinker. »Rachel ist immer noch meine beste Freundin.«
    »Okay.«
    »Sie hat lange gebraucht, um über dich wegzukommen.« Sie zögerte.
    »Ging mir genauso.«
    »Stimmt. Hör zu, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Es ist nur … ein paar Dinge musst du wissen.«
    »Zum Beispiel?«
    Sie sah weiter auf die Straße und hielt das Lenkrad mit beiden Händen. »Du hast Lenny gefragt, warum wir dir nie erzählt haben, dass sie geschieden ist.«
    »Das stimmt.«
    Cheryl sah in den Rückspiegel, aber nicht auf den Verkehr, sondern auf ihre Tochter. Marianne schien tief in ihr Spiel versunken. »Sie ist nicht geschieden. Ihr Mann ist tot.«
    Cheryl hielt vor der Middle School. Marianne nahm den Kopfhörer ab und glitt aus dem Auto. Auf den pflichtbewussten Kuss musste Cheryl diesmal verzichten, aber Marianne verabschiedete
sich mit einem »Wiedersehen«. Cheryl legte den Gang wieder ein.
    »Das tut mir Leid«, sagte ich, weil man so etwas in solchen Situationen nun einmal sagt. Fast hätte ich hinzugefügt – das Hirn funktioniert auf sehr eigenartige und oft sogar makabre Art –, hey, dann haben Rachel und ich ja noch etwas gemeinsam.
    Und dann, als könnte sie Gedanken lesen, sagte Cheryl: »Er ist erschossen worden.«
    Die unheimliche Parallele stand ein paar Sekunden zwischen uns. Ich schwieg.
    »Die Details kenne ich nicht«, fuhr sie dann fort. »Er war auch beim FBI. Rachel war eine der hochrangigsten Frauen in der ganzen Behörde. Nach

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