Keine zweite Chance
seinem Tod hat sie gekündigt. Sie ist nicht mehr ans Telefon gegangen, wenn ich bei ihr angerufen habe. Seit seinem Tod geht es ihr nicht gut.« Cheryl hielt hinter meinem Wagen. »Ich erzähle dir das, damit du eins begreifst. Seit euren gemeinsamen College-Tagen ist viel Zeit vergangen. Rachel ist nicht mehr die Frau, die du damals geliebt hast.«
Mit fester Stimme sagte ich: »Trotzdem brauche ich ihre Telefonnummer.«
Ohne weitere Worte holte Cheryl einen Kugelschreiber unter der Sonnenblende hervor, zog mit den Zähnen die Kappe ab und kritzelte die Nummer auf eine Dunkin ’ Donuts -Serviette.
»Danke«, sagte ich.
Als ich ausstieg, nickte sie mir nur kurz zu.
Ich zögerte nicht. Ich hatte mein Handy dabei. Ich stieg in meinen Wagen und wählte die Nummer. Rachel meldete sich mit einem zurückhaltenden: »Hallo?« Meine Worte waren ziemlich simpel.
»Ich brauche deine Hilfe.«
15
Fünf Stunden später fuhr Rachels Zug im Bahnhof von Newark ein.
Ich musste an all die alten Filme denken, in denen sich die Liebenden im Bahnhof trennen, den von unten heraufquellenden Dampf, das »Einsteigen bitte« des Schaffners, das Pfeifen der Lok, das Schnaufen, wenn die Räder anfangen, sich zu drehen, während sie sich winkend aus dem Fenster beugt und er auf dem Bahnsteig neben dem Waggon herläuft. Ich weiß nicht, wie ich darauf kam. Der Bahnhof von Newark ist ungefähr so romantisch wie ein Haufen Nilpferdscheiße mit Kopfläusen. Der Zug fuhr fast geräuschlos ein, und es lag nichts in der Luft, was man sehen oder riechen wollte.
Trotzdem spürte ich ein Zittern in meiner Brust, als Rachel ausstieg. Sie trug ausgebleichte Jeans und einen roten Rollkragenpullover. Beim Aussteigen hob sie die Reisetasche über ihrer Schulter leicht an. Einen Augenblick lang starrte ich sie einfach nur an. Ich war gerade sechsunddreißig geworden. Rachel war fünfunddreißig. Wir hatten uns mit Anfang zwanzig getrennt. Und dann das ganze Erwachsenenleben kaum voneinander gehört. Komisch, wenn man so darüber nachdachte.
Von unserem Bruch habe ich schon erzählt. Ich versuche immer noch, hinter den eigentlichen Grund zu kommen, aber vielleicht war es auch ganz einfach: Wir waren jung. Wenn man jung ist, macht man Dummheiten. Man erfasst nicht sämtliche Auswirkungen seines Handelns, denkt nicht in größeren Zeiträumen. Jugendliche verstehen nicht, dass das Zittern in der Brust womöglich niemals aufhört.
Als mir heute klar geworden war, dass ich Hilfe brauchte, hatte ich sofort an Rachel gedacht. Und sie war gekommen.
Sie kam ohne zu zögern auf mich zu. »Alles klar?«
»Geht so.«
»Haben sie angerufen?«
»Noch nicht.«
Sie nickte und ging den Bahnsteig entlang. Sie klang sachlich. Auch sie hatte sich in die Rolle des Profis zurückgezogen. »Erzähl mir mehr über den DNA-Test.«
»Ich weiß nicht mehr.«
»Es ist also nicht eindeutig.«
»Doch. Es ist nicht beweiskräftig, aber sie scheinen sich ziemlich sicher zu sein.«
Rachel nahm ihre Tasche von der rechten und hängte sie auf die linke Schulter. Ich bemühte mich, mit ihr Schritt zu halten. »Wir müssen ein paar schwierige Entscheidungen treffen, Marc. Schaffst du das?«
»Ja.«
»Erstens: Bist du sicher, dass du nicht die Polizei oder das FBI einweihen willst?«
»Auf dem Zettel stand, sie haben einen Informanten.«
»Das ist wahrscheinlich Blödsinn«, sagte sie.
Wir gingen ein paar Schritte weiter.
»Beim letzten Mal habe ich sie informiert«, gab ich zu bedenken.
»Das heißt nicht, dass das falsch war.«
»Richtig war es aber bestimmt nicht.«
Sie wiegte abwägend den Kopf. »Du weißt nicht, was beim letzten Mal passiert ist. Vielleicht haben sie gesehen, dass dir jemand gefolgt ist. Vielleicht haben sie dein Haus beobachtet. Aber höchstwahrscheinlich hatten sie nie vor, dir deine Tochter zurückzugeben. Verstehst du?«
»Ja.«
»Und du willst die Polizei trotzdem nicht informieren?«
»Nein. Deshalb habe ich dich angerufen.«
Sie nickte und blieb stehen, wartete, dass ich ihr zeigte, in welche Richtung wir mussten. Ich deutete nach rechts. Sie ging weiter. »Und noch was«, sagte sie.
»Ja?«
»Wir dürfen diesmal nicht zulassen, dass sie das Tempo vorgeben. Wir müssen uns vergewissern, dass Tara am Leben ist.«
»Sie werden behaupten, dass die Haare das beweisen.«
»Und wir behaupten, dass die Tests kein eindeutiges Ergebnis gebracht haben.«
»Meinst du, die kaufen uns das ab?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht.« Mit
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