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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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dich hier finden würde«, begann Edgar.
    Ich blieb gut einen Meter vor ihm stehen. »Was gibt’s?«
    »Setz dich zu mir.«
    Ich stellte den Rollstuhl meines Vaters links neben die Bank und fixierte die Räder. Mein Vater starrte geradeaus. Sein Kopf sackte auf die rechte Schulter, wie meistens, wenn er müde wird. Ich wandte mich Edgar zu. Er stellte die Beine nebeneinander und beugte sich vor.
    »Ich frage mich die ganze Zeit, wie ich es dir beibringen soll«, fing er an.
    Ich ließ ihm etwas Zeit. Er sah zur Seite. »Edgar?«
    »Hm.«
    »Sag mir einfach, was los ist.«
    Er nickte, zufrieden mit meiner Direktheit. Edgar war so ein Typ. Ohne weitere Vorrede sagte er: »Ich habe noch eine Lösegeldforderung bekommen.«
    Ich fuhr zurück. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte – vielleicht die Nachricht, dass Tara tot aufgefunden worden war –, doch was er da sagte … ging über meinen Verstand. Ich wollte schon nachfragen, als ich sah, dass er eine Tasche auf dem Schoß liegen hatte. Er öffnete sie und zog etwas heraus. Es war eine Plastiktüte  – genau wie beim ersten Mal. Ich kniff die Augen zusammen. Er gab sie mir. Irgendetwas blähte sich in meiner Brust auf. Ich blinzelte und betrachtete die Tüte.

    Haare. In der Tüte waren Haare.
    »Das ist ihr Beweis«, sagte Edgar.
    Ich konnte nicht sprechen. Ich starrte die Haare an. Vorsichtig legte ich die Tüte auf meinen Schoß.
    »Sie wussten, dass wir misstrauisch sein würden«, sagte Edgar.
    »Wer wusste das?«
    »Die Entführer. Sie haben gesagt, dass sie uns ein paar Tage Zeit lassen. Ich habe die Haare sofort in ein DNA-Testlabor gegeben.«
    Ich sah erst ihn an, dann wieder die Haare.
    »Vor zwei Stunden habe ich das vorläufige Ergebnis bekommen«, sagte Edgar. »Beweiskräftig wäre es noch nicht, aber ziemlich eindeutig. Die Haare entsprechen denen, die uns vor anderthalb Jahren geschickt wurden.« Er brach ab und schluckte. »Es sind Taras Haare.«
    Ich hörte die Worte, begriff sie aber nicht. Aus irgendeinem Grund schüttelte ich ablehnend den Kopf. »Vielleicht haben sie sie nur aufbewahrt, als sie die anderen …«
    »Nein. Man kann auch das Alter bestimmen. Diese Haare stammen von einem etwa zweijährigen Kind.«
    Ich glaube, ich hatte das schon gewusst. Als ich sie sah, hatte ich gesehen, dass es sich nicht um die feinen Babyhaare meiner Tochter handelte. Die konnte sie nicht mehr haben. Sie hätte jetzt kräftigere, dunklere Haare …
    Edgar reichte mir einen Zettel. Noch immer wie benebelt nahm ich ihn entgegen. Die Vorderseite sah genauso aus wie die, die wir vor achtzehn Monaten bekommen hatten. Auf der Zeile über dem Knick stand:
    WOLLEN SIE EINE LETZTE CHANCE?
    Ich verspürte einen Schlag in der Brust. Edgars Stimme klang wie aus weiter Ferne. »Wahrscheinlich hätte ich dir sofort Bescheid
sagen sollen, aber ich dachte, es wäre ein Schwindel. Carson und ich wollten dir nicht unnötig Hoffnung machen. Ich habe Freunde, die ganz schnell einen DNA-Test durchführen konnten. Wir hatten die Haare aus dem letzten Brief noch.« Er legte mir die Hand auf die Schulter. Ich rührte mich nicht.
    »Sie lebt, Marc. Ich weiß nicht, wo oder warum, aber Tara lebt.«
    Ich starrte weiter die Haare an. Tara. Es waren Taras Haare. Der Glanz, dieser weizengoldene Schimmer. Ich streichelte sie durch das Plastik. Ich wollte die Tüte öffnen, meine Tochter berühren, und ich hatte das Gefühl, mein Herz würde zerspringen.
    »Sie wollen noch mal zwei Millionen Dollar. Sie warnen uns wieder davor, die Polizei einzuschalten – sie behaupten, sie hätten dort einen Informanten. Und sie haben wieder ein Handy für dich beigelegt. Das Geld ist bei mir im Wagen. Wir haben vielleicht noch vierundzwanzig Stunden. So viel Zeit haben sie uns für den DNA-Test gegeben. Du musst dich bereithalten.«
    Endlich las ich die Forderung. Dann sah ich meinen Vater im Rollstuhl an. Er starrte immer noch geradeaus.
    Edgar sagte: »Ich weiß, dass du mich für reich hältst. Das bin ich wohl auch. Aber nicht so, wie du glaubst. Ich arbeite mit Fremdkapital, und …«
    Ich sah ihn an. Seine Augen waren weit aufgerissen. Ihm zitterten die Hände.
    »Ich will nur sagen, dass ich nicht mehr so viel Bargeld flüssig machen kann. Ich bin kein Goldesel. Das ist das Ende der Fahnenstange.«
    »Ich bin überrascht, dass du das überhaupt tust«, sagte ich.
    Ich sah sofort, dass meine Worte ihn verletzten. Ich wollte sie zurücknehmen, aber irgendwie ließ ich es dann doch.

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