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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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finde, wir sollten jetzt anrufen.«
    Sie wandte sich Heshy zu. Sie waren sich in der Irrenanstalt begegnet, und es war sofort gewesen, als ob ihr Elend das des anderen erkannt und umarmt hätte. Heshy hatte sie gerettet, als zwei Pfleger sie zu Boden gedrückt hatten. Damals hatte er sie lediglich von ihr heruntergestoßen. Die Pfleger hatten sie bedroht, und sie hatten versprechen müssen, nichts zu erzählen. Doch Heshy wusste, dass man nur auf den richtigen Moment zu warten brauchte. Zwei Wochen später überfuhr er einen der Schläger mit einem geklauten Wagen. Als dieser verletzt am Boden lag, war Heshy rückwärts über seinen Kopf gefahren, hatte zurückgesetzt, den Reifen direkt am Halsansatz platziert und das Gaspedal durchgetreten. Einen Monat später wurde der zweite Schläger – der Leiter der Pflegeabteilung – tot in seiner Wohnung gefunden. Vier seiner Finger waren abgerissen. Nicht abgeschnitten oder zerquetscht, sondern abgedreht. Der Leichenbeschauer sah das an den verdrehten Fasern. Jemand hatte die Finger immer weiter herumgedreht, bis die Sehnen und der Knöchel schließlich nachgegeben hatten. Einer dieser Finger lag noch irgendwo bei Lydia im Keller.
    Vor zehn Jahren waren sie zusammen abgehauen und hatten sich neue Namen zugelegt. Ihr Äußeres hatten sie gerade so sehr verändert, dass sie nicht mehr eindeutig zu erkennen waren. Sie hatten beide noch einmal ganz von vorne angefangen, Racheengel, verletzt, aber überlegen, erhaben über das Gesindel. Sie spürte keinen Schmerz mehr. Und wenn es doch einmal vorkam, hatte sie ein Ventil.
    Sie hatten drei Wohnorte. Heshy wohnte angeblich in der
Bronx. Sie hatte eine Wohnung in Queens. Beide hatten Arbeitsplätze mit dazugehörigen Telefonnummern. Doch das war nur Show. Geschäftsadressen, wenn man so wollte. Keiner sollte erfahren, dass sie eigentlich ein Team waren, einander verbunden, ein Liebespaar. Vor vier Jahren hatte Lydia dieses hellgelbe Haus unter falschem Namen gekauft. Es hatte zwei Schlafzimmer, ein Bad und eine Gästetoilette. Die Küche, in der Heshy gerade saß, wirkte sehr hell und fröhlich. Das Haus lag an einem See in der Nordspitze von Morris County, New Jersey. Es war ein friedlicher Landstrich. Sie liebten die Sonnenuntergänge.
    Lydia starrte noch immer die Bilder von Pixie Trixie an. Sie versuchte, sich zu erinnern, wie sie sich damals gefühlt hatte. Sie wusste nicht mehr viel. Heshy stand jetzt hinter ihr und wartete wie üblich geduldig. Manche Menschen würden Heshy und sie als kaltblütige Killer bezeichnen. Das war, wie Lydia schnell erkannt hatte, ein ziemlich unzutreffender Begriff. Noch so eine Hollywood-Schöpfung. Genau wie der Glanz von Pixie Trixie. Niemand begibt sich in dieses gewalttätige Geschäft, bloß um zu Geld zu kommen. Es gibt einfachere Wege, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Man kann sich wie ein Profi benehmen. Man kann seine Gefühle im Zaum halten. Man kann sich sogar einreden, dass es nur ein Arbeitstag im Büro ist, doch wenn man sich selbst gegenüber ehrlich ist, begibt man sich auf die andere Seite von Recht und Gesetz, weil es einem Spaß macht. Lydia hatte das begriffen. Einem Menschen Schmerzen zuzufügen, ihn umzubringen, das Lebenslicht in seinen Augen zu trüben oder zum Verlöschen zu bringen … nein, das brauchte sie nicht. Sie sehnte sich nicht danach, wie sie sich nach dem Rampenlicht gesehnt hatte. Aber, ja, zweifellos überkam sie dieser wohlige Schock, die unverkennbare Erregung, die Linderung ihres eigenen Schmerzes.
    »Lydia?«
    »Alles klar, Pu Bär.« Sie griff nach dem Handy mit der geklauten
Nummer und dem Verzerrer. Dann drehte sie sich um und sah Heshy an. Er war furchtbar hässlich, aber das sah sie nicht. Er nickte ihr zu. Sie schaltete den Sprachverzerrer ein und wählte die Nummer.
    Als Lydia Marc Seidmans Stimme hörte, sagte sie: »Probieren wir’s noch mal?«

17
    Bevor ich das Telefon ans Ohr hob, legte Rachel ihre Hand auf meine. »Das ist eine Verhandlung«, sagte sie. »Einschüchterung und Bedrohung sind Verhandlungstechniken. Du musst standhaft bleiben. Wenn sie bereit sind, Tara freizulassen, werden sie auch flexibel sein.«
    Ich schluckte und klappte das Handy auf. »Hallo.«
    »Probieren wir’s noch mal?«
    Wieder diese Computerstimme. Mein Herz stockte kurz. Ich schloss die Augen und sagte: »Nein.«
    »Wie bitte?«
    »Ich will absolut sicher sein, dass Tara noch lebt.«
    »Sie haben doch die Haarprobe bekommen,

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