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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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einem da die Kampfeslust vergeht. Der Schritt selbstverständlich. Das hört man immer wieder. Der Schritt ist allerdings schwer zu treffen, wahrscheinlich weil Männer ihn instinktiv besonders gut verteidigen. Daher ist er meist besser für eine Finte zu gebrauchen. Man täuscht einen Tritt zwischen die Beine an und schlägt dann auf eine andere empfindliche Stelle.
    Es gab noch andere Möglichkeiten – den Solarplexus, den Fußrücken, das Knie. Aber es gab bei all diesen Techniken auch ein zentrales Problem. Im Kino kann ein kleiner Gegner einen größeren besiegen. In der Realität kann das zwar auch schon mal vorkommen, aber wenn die Frau so klein wie Rachel und der Mann so groß wie ihr gegenwärtiger Angreifer ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Sieger aus diesem Handgemenge hervorgeht, äußerst gering. Wenn der Angreifer weiß, was er tut, schrumpft diese geringe Wahrscheinlichkeit bis zur Unsichtbarkeit.
    Ein anderes Problem für eine Frau besteht darin, dass diese Kämpfe nie ablaufen wie im Kino. Denken Sie mal an eine körperliche Auseinandersetzung, die Sie selbst vielleicht in einer Bar, bei einer Sportveranstaltung oder auch auf dem Spielplatz miterlebt haben. Der Kampf endet fast immer in einer Rangelei
auf dem Boden. Im Fernsehen, in einem Boxring, klar, da bleiben die Leute stehen und schlagen aufeinander ein. Im richtigen Leben taucht der eine oder andere ab, greift sich seinen Gegner, und die beiden gehen zu Boden und ringen. Dann spielt es überhaupt keine Rolle mehr, wie gut man ausgebildet ist. In diesem Stadium des Kampfes hätte Rachel gegen einen so großen Konkurrenten nicht die geringste Chance.
    Und nicht zuletzt: Obwohl Rachel im Verhalten in gefährlichen Situationen geschult war – das FBI hatte in Quantico dafür eigens eine Pseudostadt eingerichtet –, war sie doch nie in eine echte körperliche Auseinandersetzung geraten. Sie war nicht auf die unwillkürliche Panikreaktion gefasst, das taube Kribbeln in den Beinen, den Kraftverlust, als sich Adrenalin und Angst mischten.
    Rachel bekam keine Luft. Sie spürte die Hand auf ihrem Mund und reagierte spontan falsch. Anstatt sofort mit dem Fuß nach hinten auszuschlagen – um, wenn möglich, das Knie oder den Fußrücken zu treffen –, gehorchte sie ihrem Instinkt und versuchte, mit beiden Händen ihren Mund zu befreien. Das gelang ihr nicht.
    Im nächsten Augenblick hatte der Mann ihr seine andere Hand auf den Hinterkopf gelegt und ihren Kopf dazwischengeklemmt wie in einem Schraubstock. Seine Finger bohrten sich in ihr Zahnfleisch und drückten ihre Zähne ein. Er schien so stark, dass Rachel den Eindruck hatte, er könne ihren Kopf wie eine Eierschale zerquetschen. Das tat er nicht. Stattdessen hob er sie hoch. Ihr Hals litt am meisten. Es fühlte sich an, als würde er ihr den Kopf abreißen. Die Hand über Mund und Nase schnitt ihr die Luft ab. Er hob sie höher. Ihre Füße berührten den Boden nicht mehr. Sie ergriff seine Handgelenke und versuchte, sich daran hochzuziehen, um den Hals zu entlasten.
    Trotzdem bekam sie immer noch keine Luft.

    Es dröhnte in ihren Ohren. Ihre Lunge brannte. Sie trat wild um sich. Die wenigen Tritte, die ihn trafen, waren so schwach und ungezielt, dass er gar nicht erst versuchte, sie abzublocken. Sein Gesicht war ganz nah an ihrem. Sie spürte die Spucke in seinem Atem. Ihr Nachtsichtgerät war verrutscht, hing aber immer noch an ihrem Kopf. Es verdeckte ihr die Sicht.
    Der Druck im Kopf fing an zu pochen. Rachel versuchte, sich an ihre Ausbildung zu erinnern, und bohrte ihre Fingernägel in den Druckpunkt unter seinem Daumen. Keine Reaktion. Sie trat kräftiger zu. Nichts. Sie brauchte Luft. Sie kam sich vor wie ein Fisch an der Angelschnur, der wild zappelnd erstickte. Panik erfasste sie.
    Ihre Waffe.
    Sie konnte danach greifen. Wenn sie sich selbst lange genug in den Griff bekam und den Mut aufbrachte, die Hand loszulassen, konnte sie in ihre Tasche greifen, die Pistole herausziehen und abdrücken. Das war ihre einzige Chance. Ihr wurde schwummrig. Langsam verlor sie das Bewusstsein.
    Sekunden, bevor ihr Kopf explodierte, ließ Rachel die linke Hand los. Ihr Hals war straff gespannt. Sie war sicher, dass er wie ein Gummiband reißen würde. Sie kam mit der Hand ans Holster. Ihre Finger berührten die Pistole.
    Doch der Mann merkte, was sie vorhatte. Während Rachel noch immer wie eine Stoffpuppe in der Luft hing, rammte er ihr das Knie in die Nieren. Schmerz explodierte in

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