Keine zweite Chance
links, wo es zum Park zurückging.
Niemand.
Mist. Was war da schief gelaufen? Ich versuchte, in Ruhe nachzudenken. Konzentrier dich. Okay, wohin würde ich laufen, wenn ich fliehen müsste? Ganz einfach. Ich würde nach rechts abbiegen. Die Wege dort waren unübersichtlich, gewunden und dunkel. Man konnte sich ohne weiteres im Unterholz verstecken. Und genau das würde ein Kidnapper tun. Ich wartete nur einen kurzen Moment in der Hoffnung, dass das Kind noch einmal schreien würde. Es schwieg. Aber eine Stimme sagte: »Hey!« Sie klang wirklich überrascht.
Ich legte den Kopf schief. Der Ruf war von rechts gekommen. Gut. Ich rannte weiter, suchte den Horizont nach einem Flanellhemd ab. Nichts. Ich lief weiter bergab, strauchelte und wäre fast den Hügel hinuntergerollt. Von damals, als ich hier in der Gegend gewohnt hatte, wusste ich, dass Obdachlose an den steilen Hängen zwischen den Pfaden Zuflucht gefunden hatten. Sie
suchten Schutz unter den dichten Zweigen und Überhängen. Gelegentlich raschelte es am Wegrand so laut, dass es kein Eichhörnchen sein konnte. Manchmal erschien ein Obdachloser wie aus dem Nichts – lange Haare, verfilzter Bart, in eine stinkende Wolke gehüllt. Nicht weit von hier boten sich Stricher den Geschäftsleuten an, die aus dem A-Train stiegen. Ich bin hier regelmäßig frühmorgens gejoggt. Oft war der Weg mit Kondomhüllen übersät.
Ich rannte weiter und versuchte, aufmerksam zu lauschen. Der Weg gabelte sich. Verdammt. Wieder überlegte ich, welcher Weg der verschlungenere war. Doch ich wusste es nicht. Ich wollte mich rechts halten, als ich etwas hörte.
Es raschelte im Gebüsch.
Ohne weiter nachzudenken, sprang ich hinein. Ich stand vor zwei Männern. Einer im Anzug. Der andere, viel jüngere, trug Jeans und kniete vor ihm. Der Anzugträger fluchte. Ich machte keinen Rückzieher, weil ich die Stimme des Mannes schon einmal gehört hatte. Vor wenigen Sekunden.
Er war es, der »Hey« gerufen hatte.
»Haben Sie hier einen Mann mit einem kleinen Mädchen vorbeikommen sehen?«
»Machen Sie, dass Sie …«
Ich trat einen Schritt vor und gab ihm eine Ohrfeige. »Haben Sie sie gesehen?«
Er wirkte weniger verletzt als erschrocken. Dann zeigte er nach links. »Sie sind da hoch gelaufen. Er hatte das Kind auf dem Arm.«
Ich sprang wieder auf den Weg. Okay, alles klar. Sie waren auf dem Weg zurück zur Wiese. Wenn sie weiter in diese Richtung liefen, würden sie in der Nähe meines Wagens herauskommen. Ich rannte wieder los und kam an ein paar Strichern vorbei, die auf der Mauer saßen. Einer von ihnen fing meinen Blick auf – er
trug ein blaues Kopftuch –, nickte und bedeutete mir, dass ich auf dem Weg bleiben sollte. Ich nickte dankend zurück und rannte weiter. In der Ferne sah ich die Parkbeleuchtung. Und dort, vor einem Laternenpfahl, erhaschte ich einen kurzen Blick auf Flanellhemd, der Tara auf dem Arm trug.
»Halt!«, rief ich. »Haltet den Mann auf!«
Aber sie waren verschwunden.
Ich schluckte und rannte, weiter um Hilfe rufend, den Weg hinauf. Niemand reagierte oder antwortete. Als ich an dem Aussichtspunkt war, von dem Paare gern die Aussicht nach Osten bewunderten, sah ich Flanellhemd noch einmal. Er sprang über die Mauer in den Wald. Ich wollte ihm folgen, doch als ich um die Ecke bog, schrie jemand: »Keine Bewegung!«
Ich sah mich um. Es war ein Polizist. Er hatte seine Pistole gezogen.
»Keine Bewegung!«
»Er hat meine Tochter! Da entlang!«
»Dr. Seidman?«
Die bekannte Stimme kam von rechts. Es war Regan.
Was zum …? »Los, folgen Sie mir einfach!«
»Wo ist das Geld, Dr. Seidman?«
»Sie verstehen nicht«, stieß ich hervor. »Sie sind gerade über die Mauer gesprungen.«
»Wer?«
Ich merkte, worauf das hinauslief. Zwei Polizisten hatten ihre Pistolen auf mich gerichtet. Regan starrte mich mit verschränkten Armen an. Hinter ihm erschien Tickner.
»Reden wir darüber, okay?«
Nein, das war nicht okay. Sie würden nicht schießen. Und falls doch, dann war mir das auch egal. Also lief ich los. Sie nahmen die Verfolgung auf. Die Cops waren jünger und zweifellos durchtrainierter. Aber einen Vorteil hatte ich: Ich war verrückt vor
Angst um Tara. Ich sprang über den Zaun und stürzte den Abhang hinab. Die Cops folgten mir, aber sie waren vorsichtig, passten auf, wo sie hintraten.
»Keine Bewegung!«, schrie wieder einer.
Ich bekam nicht genug Luft für weitere Erklärungen. Sie sollten mir ja folgen – ich durfte mich bloß nicht
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