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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Vera seufzte. »Ich sehe zu, daß ich morgen dieses unglückselige Fax finde, falls ich es
     nicht weggeworfen habe. Wie auch immer – wenn Kurbatow anruft, verabrede ich mich mit ihm. Obwohl es bestimmt besser wäre,
     sich da rauszuhalten … Aber weißt du, noch gibt es keinen Anlaß, über jemanden schlecht zu denken. Fjodor darf auf keinen
     Fall spüren, daß wir einen Verdacht gegen ihn haben. Wenn er wirklich ein Bandit ist, könnte ihn das aufschrecken. Und wenn
     nicht, dann würde es ihn sehr kränken. Hab ich recht?«
    »Ja, das ist logisch.« Sonja nickte. »Außerdem bleibt uns sowieso nichts anderes übrig. Er wird schließlich nicht einfach
     so wieder verschwinden …«
     
    Vera konnte lange nicht einschlafen. Es war schon hell, und sie starrte noch immer an die Decke und grübelte.
    Bis heute nacht hatte sie für Fjodor nichts empfunden als tiefe Dankbarkeit. Nun war noch Mitleid hinzugekommen.
    Er hat eine schlimme Kindheit gehabt, war in Schmutz und Haß aufgewachsen, dann der Armeedienst in einer furchtbaren Einheit,
     schikaniert von Dienstälteren und sadistischen Vorgesetzten. Vera hatten die Haare zu Berge gestanden, als er von der Armee
     erzählte. Und dann Tschetschenien, wieder Schmutz und Haß. Davon mochte er nicht einmal reden …
    Alles in ihm war kaputt, und seine hochtrabende, operettenhafte Ausdrucksweise war durchaus verständlich. Er sehnte sich nach
     schönen Gefühlen, nach erhabener Liebe.
    Die Geschichte mit der Schwester klang wirklich unglaubhaft, aber wenn Fjodor log, dann belog er vor allem sich selbst. Wem
     würde es nicht weh tun, sich einzugestehen, daß die einzige Schwester Prostituierte geworden war? Darum hatte er anfangs auch
     nichts von ihr erzählt.
    Aus Sonja aber sprach schonungsloser kindlicher Maximalismus. Darin war sie ihrer Mutter ähnlich.
    Er lügt nicht, er phantasiert einfach, schmückt die herbe Prosa des Lebens mit schönen, erhabenen Leidenschaften aus. Alles
     soll bunt sein, wie im Kino.
    Wenn Star-Service wirklich eine Mafiafirma wäre, würden ihre Faxe nicht bei fremden Leuten landen. Vermutlich war es eher
     eine kleine Eintagsfirma, von denen es heutzutage viele gab. Die Leute machten Schulden und mußten schnell wieder schließen.
     Würde ein Bandit am Telefon etwa so mit ihr reden wie Kurbatow? Erklärungen abgeben, sich entschuldigen, bitten?
    Natürlich sollte sie sich mit Kurbatow treffen. Und Fjodor lieber nichts davon sagen. Mit seiner Schwester hatte das bestimmt
     nichts zu tun. Aber er würde in seinem Übereifer nur Unheil anrichten. Sie mußte sich selbst ein Bild machen, sie mußte das
     Fax suchen. Da war wirklich mal ein seltsames Fax gekommen, nur eine Adresse und irgendwas mit Brunhilde …
    Vera war das Fax aufgefallen, weil es handgeschrieben war, sie hatte sich sogar die Schrift angesehen, sich an ihr früheres
     Interesse für Graphologie erinnert. Sie mußte es suchen.
    Es war ein klarer früher Morgen. Die Vögel zwitscherten eifrig. Die Sonne drang bereits durch die zugezogenen Vorhänge. Endlich
     fielen Vera die Augen zu.
    In ihrem Kopf schwirrte ein Shakespeare-Zitat herum: »Sie liebte mich, weil ich Gefahr bestand; ich liebte sie umihres Mitleids willen.« Vera lachte leise, sogar im Schlaf. Bei Shakespeare geht die Geschichte übel aus. Der arme leidgeprüfte
     Mohr erwürgt die schöne Desdemona. Obwohl sie ihn bedauert, ja sogar liebgewonnen hat.
     
    Inna Selinskaja konnte nur mühsam die Augen öffnen. Die Lider waren schwer, in ihrem Kopf dröhnte es.
    Wieso hab ich mich gestern so vollaufen lassen? fragte sie sich.
    Es war längst Tag. Inna klappte die Lider auf und starrte einige Minuten lang stumpfsinnig vor sich hin, auf die zugezogenen
     blaßblauen Vorhänge. Draußen schien die Sonne. Sanfte bläuliche Sonnenflecke leuchteten auf dem hellen Parkett.
    Nein, aus dieser schönen Wohnung würde sie nicht ausziehen. Bestimmt ließen sich Wege finden, Stas rauszuschmeißen. Natürlich
     würde sie dafür keine Kriminellen engagieren. So dumm war sie nicht, das würde sie zu teuer zu stehen kommen. Ein guter Anwalt
     konnte auch vieles bewerkstelligen. Das war zwar teuer, aber dafür würde ihr Vater ihr Geld geben.
    Ein Anwalt würde immer noch weniger kosten als eine neue Wohnung. Und nach Kriwoi Rog wollte sie unter keinen Umständen zurück.
    Sie hatte bei ihrem Vater schon mal vorgefühlt. Von Scheidung hatte sie noch nichts gesagt, nur daß sie eventuell bald Geld
     brauchen würde, ziemlich

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