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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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viel Geld. Für eine wichtige Sache. Ihr Vater war Gold wert. Er hatte sein Leben lang auf dem Markt
     mit Fleisch gehandelt und vor drei Jahren eine kleine Fleischerei mit eigenem Ladenverkauf aufgemacht.
    Geld hatte ihr Vater jedenfalls, und für seine einzige Tochter geizte er damit nicht. Er würde natürlich rumknurren, von wegen:
     Du bist selber schuld, ich hab dich ja gleich gewarnt, dein Moskauer ist irgendwie komisch, ein Schlappschwanz,unzuverlässig, so viele Jahre älter, und dann hat er auch noch zwei Kinder am Hals. Du bist selber schuld, das hättest du
     dir früher überlegen müssen, du mußtest ihn ja unbedingt heiraten, nun sieh zu, wie du klarkommst. Aber am Ende würde er das
     Geld doch rausrücken.
    Sie mußte sich also keine Sorgen machen. Es sah gar nicht so übel aus.
    Ihre Freundin hatte einen guten Anwalt aufgetrieben, der sich mit Immobilien auskannte. Er erwartete Inna heute um halb vier
     in seinem Büro. Sie mußte aufstehen, einen starken Tee trinken und sich überhaupt in Ordnung bringen. Wirklich – warum hatte
     sie sich gestern so vollaufen lassen? Stas war schuld. War er eigentlich jetzt zu Hause oder nicht? Es schien still. Vielleicht
     war er schon weg?
    Inna tastete nach ihrer Armbanduhr, die sie immer neben sich auf den Nachttisch legte.
    »Mein Gott! Halb zwei!« sagte sie laut, stand auf und stieß mit ihrem nackten Fuß gegen eine leere Flasche.
    »So was, bin ich denn total ausgetickt?« fragte sich Inna.
    Es war eine Halbliterflasche Rasputin-Wodka. Das ganze Zimmer roch nach Wodka, als wäre jede Menge davon auf den Fußboden
     geflossen und habe das Parkett durchtränkt.
    Rasputin habe ich weder gekauft noch getrunken, erinnerte sich Inna. Und ich kann nicht so betrunken gewesen sein, daß ich
     die Flasche auf den Boden geworfen habe. Oder bin ich wirklich ausgetickt?
    Merkwürdigerweise tat ihr der Hals weh. Sie ging zu ihrer großen Frisierkommode. Seit sie zehn war, schaute sie jeden Morgen
     als erstes in den Spiegel. Wenn sie gut aussah, hieß das, der Tag würde gut verlaufen. Heute sah sie furchtbar aus. Die Nase
     geschwollen, die Augen zu Schlitzen verengt. Und so wollte sie zum Anwalt?
    Sie drehte den Kopf ein wenig und schrie leise auf, so sehr tat der Hals weh. Hatte sie sich etwa im Schlaf verrenkt? Da entdeckte
     sie an der Seite, unterm Ohr, einen langen,schmalen blauen Fleck, ganz blaß, kaum zu sehen. Aber es war eindeutig ein blauer Fleck.
    »Mein Gott, wo hab ich den denn her?« Sie war erschrocken. »Hab ich mich heute nacht etwa geprügelt? Oder hat mich jemand
     gewürgt? Blödsinn …«
    Sie erinnerte sich vage, daß sie in der Nacht tatsächlich einen plötzlichen Schmerz verspürt hatte, aber schließlich war sie
     davon nicht aufgewacht. War das nur ein Alptraum gewesen? Aber woher stammte dann der blaue Fleck? Und warum hatte sie einen
     Kater wie ein notorischer Säufer? Soviel hatte sie nicht getrunken. Nein. Na schön, erst mal kalt waschen, Zähne putzen. Und
     dann einen starken Tee, eine große Tasse. Sie hatte fürchterlichen Durst, ihr Mund kam ihr vor wie eine Jauchegrube, die Zunge
     fühlte sich an wie Schmirgelpapier.
    Inna ging in Richtung Bad, unterwegs warf sie einen Blick in das Zimmer, wo ihr Mann schlief. Seit zwei Wochen schliefen sie
     getrennt.
    »Na so was! Er pennt noch.«
    Sie wollte schon im Bad verschwinden, doch irgend etwas ließ sie stutzen.
    »Stas!« rief sie. »Schläfst du noch oder was? Es ist halb zwei.«
    Er lag auf der Seite, zur Wand gedreht, und rührte sich nicht. Inna trat zur Liege und begriff erst nicht, sie stand einen
     Moment mit offenem Mund da wie angewurzelt und hielt die Luft an. Von ihrem eigenen markerschütternden Schrei kam sie zu sich.
    Aus dem Rücken ihres Mannes ragte der schwarze Plastikgriff eines Küchenmessers.

Vierundzwanzigstes Kapitel
    Herauszufinden, wie der aufgeweckte Junge hieß, den der Kriminelle Sachar vor über zwanzig Jahren mit sich herumgeschleppt
     hatte, schien so gut wie aussichtslos. Hauptmann Malzew befragte alte Informanten, Pensionäre der Kriminellenfront. Ihr Greisengedächtnis
     war kurz.
    »Stimmt, Sachar hat sich mit einem Jungen abgegeben. Aber das ist so lange her …«
    Das hörte Malzew schon zum zehntenmal, doch den Namen des Jungen und sein genaues Alter wußte niemand.
    »Ein guter Junge war das, ein ganz Stiller. Aus dem Kinderheim, glaub ich«, erinnerte sich der sechsundsiebzigjährige ehemalige
     Manager des Restaurants »Praga«. »Sachar

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