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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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konnte,
     war Sprengstoff. Natürlich hatte er bei der Armee auch schießen gelernt. Aber er war kein besonders guter Schütze gewesen,
     und vor allem: Den Sprengstoff stellte er selbst her, eine Pistole dagegen hätte er sich erst besorgen müssen.
    Es ist lediglich ein gängiger Mythos, daß man in Moskau mühelos jede beliebige Waffe bekommt, von der Pistole bis zum Panzer,
     von der Handgranate bis zur Atombombe, Hauptsache, man zahlt. In Wirklichkeit war das nicht ganz so einfach, zumal für einen
     Einzelgänger ohne Kontakte und Beziehungen.
    Auf den Schwarzmärkten wurde alles streng kontrolliert – von den Kriminellen ebenso wie von der Miliz. Da konnte man ganz
     schnell in eine üble Geschichte reingeraten, man kriegte zum Beispiel eine Waffe untergeschoben, die bei einem Kapitalverbrechen
     aufgetaucht war, und das wurde einem dann angehängt.
    Natürlich hätte er Skwosnjak auflauern und ihn mit einem Messer erledigen können. Aber allein bei dem Gedanken anein Messer, das in einen lebendigen Menschen eindrang, sei er auch noch so verhaßt und böse, wurde ihm übel. Er war doch kein
     Schlachter. Außerdem verfügte Skwosnjak über ein ausgezeichnetes Reaktionsvermögen und war stärker und gewandter als Wolodja.
     Und sterben wollte Wolodja auch nicht. Er wollte seine heilige Mission nicht ausführen, um schön zu sterben, sondern um in
     Ruhe weiterleben zu können.
    Eine Ladung Sprengstoff, eine saubere, technische, für den Vollstrecker vollkommen ungefährliche Waffe, kam bei Skwosnjak
     nicht in Frage. Im Gegensatz zu den sonstigen Opfern von Wolodjas Gerechtigkeit fuhr er nicht Auto, er ging zu Fuß und benutzte
     öffentliche Verkehrsmittel. Skwosnjak in die Luft zu sprengen, ohne daß dabei andere Personen in Mitleidenschaft gezogen wurden,
     schien vorerst unmöglich.
    Je länger Wolodja die Entwicklung der Ereignisse beobachtete, desto sicherer war er, daß die Blondine Vera seinen Schutz brauchte
     wie niemand sonst. Als spüre Skwosnjak die nahe Gefahr, benutzte er diese Frau als eine Art lebenden Schild. Sie war so etwas
     wie seine Geisel.
    Am späten Abend gingen die beiden den leeren Boulevard entlang. Wolodja folgte ihnen lautlos, in der Tasche eine kleine Handgranate
     – er hatte mehrere derartige Granaten eigens für Skwosnjak konstruiert. Aber auf keinen Fall für die kleine, rundgesichtige
     Frau, die aussah wie seine Großmutter in ihrer Jugend. Ihr Absatz war abgebrochen, sie stützte sich auf Skwosnjaks Schulter
     und hinkte rührend auf einem Bein wie ein kleines Mädchen. Und bewahrte damit, ohne es zu wissen, einen Mörder vor dem sicheren
     Tod.
    Eines Abends sah Wolodja Skwosnjak über den leeren Hof kommen. Doch wieder war er nicht allein. Neben ihm ging ein sympathischer,
     kultiviert aussehender Mann mit einem Bärtchen. Der verdiente keineswegs den Tod. Ihn nurdeshalb zu töten, weil er neben Skwosnjak ging, wäre grausam und ungerecht gewesen.
    Wolodja wurde allmählich klar, daß er keinen anderen Ausweg hatte, als mit Vera zu sprechen, sie zu warnen. Sie würde ihm
     natürlich nicht gleich glauben, aber er würde versuchen, sie zu überzeugen. Das war zwar riskant, doch er wußte: Wenn Vera,
     ihrer Mutter oder dem Mädchen Sonja etwas passierte, würde er, Wolodja, sich schuldig fühlen. Niemand außer ihm ahnte, in
     welcher furchtbaren Gefahr sich diese drei vollkommen unschuldigen Menschen befanden …
     
    »Ist hier vielleicht bald mal Schluß mit der Lotterei? Habt ihr denn gar kein Gewissen?«
    Nadeshda stand im Nachthemd in der Küchentür und sah Vera und Sonja drohend an.
    »Es ist schon nach eins, und das Kind ist immer noch auf! Ab ins Bett! Alle beide! Sofort!«
    »Mama, wir gehen gleich schlafen, reg dich nicht auf«, sagte Vera sanft.
    »Ich warne dich als Ärztin: Das wird ein schlimmes Ende nehmen. Das Kind hatte heute genug Streß, schau sie dir an, sie ist
     ganz durchsichtig, nichts als riesige Augen.«
    Wenn Mama als Ärztin sprach, dann war sie wirklich ernsthaft erbost. Aber Vera und Sonja waren mit ihrem Gespräch noch nicht
     zu Ende. Und das Gespräch war wichtig.
    »Wir legen uns gleich schlafen.« Sonja stand sogar vom Küchensofa auf. »Siehst du, ich gehe mir schon die Zähne putzen. Ehrenwort.«
    »Wenn ihr in fünf Minuten nicht im Bett seid, dann … Dann weiß ich nicht, was ich mit euch mache!« Nadeshda warf den beiden
     noch einen drohenden Blick zu und ging in ihr Zimmer.
    »Ich finde, du solltest dich mit dem ehemaligen

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