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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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hat sich eisern an das Diebesgesetz gehalten, darum konnte er ihn nicht adoptieren,
     obwohl er’s gern getan hätte. Ich weiß noch, sie saßen mal zusammen mit …« Er nannte den Namen eines populären Sängers, der
     nicht nur für sein stimmgewaltiges Talent bekannt war, sondern auch für seine enge Freundschaft mit Kriminellenautoritäten.
     »Sie haben öfter zusammen gegessen, und einmal war auch der Junge dabei. Nach einer Woche kamen sie wieder, ohne den Jungen,
     und sprachen über ihn, den Waisenjungen. Das hab ich behalten, ich dachte nämlich noch: Da sitzen zwei Männer, die man in
     ganz Rußland kennt, und überlegen, wie sie einer armen Waise helfen können. Daran hab ich später oft denken müssen; die heute,
     die bringen so was nicht fertig. Die engagieren sich zwar auch manchmal für Wohltätigkeit, aber so, daß es jeder sieht, daß
     es zehnmal im Fernsehen gezeigt wird und in allen Zeitungen steht.«
    »Und wie hieß der Junge, wissen Sie das noch?« fragte Malzew.
    »Kolja hieß er. An den Familiennamen erinnere ich mich nicht.«
    Wenigstens etwas. Ein Waisenjunge Kolja, geboren zwischen 1960 und 1964 …
    Juri Uwarow kannte einen Fernsehjournalisten, der sich mit spektakulären, werbewirksamen Interviews einen Namen gemacht hatte.
     Ihre Bekanntschaft war unter traurigen Umständen zustande gekommen. Nahe Angehörige des Journalisten waren vor vier Jahren
     von der bewußten unseligen Bande getötet worden.
    Der Journalist, ein harter, geschäftstüchtiger Mann, tat nie etwas einfach so, schon gar nicht, wenn es um seine Arbeit ging.
     Doch in diesem Fall hatte er zweifellos ein persönliches Interesse. Daß der Hauptschuldige am Tod seiner Angehörigen noch
     immer frei herumlief, ließ dem Journalisten keine Ruhe. Er war bereit, den Ermittlern zu helfen.
    Interviewanfragen von ihm lehnte niemand ab, im Gegenteil, man zahlte ihm noch horrende Summen für die vierzig Minuten Sendezeit,
     in denen er jede beliebige Berühmtheit mit schwierigen, auch peinlichen Fragen löcherte. Mit dem Sänger war er seit vielen
     Jahren befreundet.
    Der Sänger gab für sein Leben gern Interviews. Er war alt geworden und trat nur noch selten auf. Doch er lechzte noch immer
     nach der Liebe des Volkes, er hatte sich in den vielen Jahren daran gewöhnt.
    Er galt nach wie vor als einer der reichsten Männer Rußlands, war inzwischen ein großer Geschäftsmann, sehnte sich aber dennoch
     nach seinem gewohnten Publikum. In den letzten Jahren waren seine Bewunderer vor allem ältere Leute, Kriegsveteranen und verdiente
     Produktionsarbeiter, Hausfrauen und kleine Parteifunktionäre Stalinscher Prägung. Doch nach einer Reihe spektakulärer Veröffentlichungen
     über die engen Kontakte des patriotischen Sängers zu hochangebundenen russischen Kriminellen war die Liebe des Volkes merklich
     abgekühlt. Seine prinzipientreuen, von der neuen Zeit gebeutelten Bewunderer konntenihrem Liebling seine Geschäftstüchtigkeit und die Freundschaft mit Kriminellen nicht verzeihen.
    Der Sänger sagte sich nicht von seinen kriminellen Freunden los, bemühte sich jedoch bei öffentlichen Äußerungen, das Bild
     der guten alten Kriminellen der Siebziger zu idealisieren und zu romantisieren. Er erzählte gern schöne Märchen darüber, was
     für originelle, großzügige, uneigennützige Menschen sie gewesen seien. Genau da setzte der Journalist an.
    »Gennadi Sacharow hatte ein großes Herz, ich kenne niemanden, der so rein und gütig gewesen wäre wie er. Solche gibt es nicht
     mehr, besonders unter den Heutigen«, erzählte der Sänger vor laufender Kamera bei sich zu Hause, nachdenklich an seinem Kaffee
     nippend und Marlboro rauchend.
    »Na, wir wollen mal nicht zu sehr schönfärben« – der Journalist runzelte die Stirn –, »der gute Mensch Gennadi Sacharow hatte
     immerhin eine umfassende kriminelle Vergangenheit.«
    »Diese Seite seines Lebens interessierte mich nicht.« Der Sänger lehnte sich im Sessel zurück. »Gena war mein Freund.«
    »Sie sagen, er war gütig, rein. Wie zeigte sich denn diese Güte und Reinheit? Die heutigen großen Unternehmer aus der Kriminellensphäre
     engagieren sich wenigstens für Wohltätigkeit, unterstützen Asyle, Kinderheime. Aber die von damals?«
    »Die von damals unterstützten einzelne Menschen, Waisenkinder.«
    »Jetzt erzählen Sie mir bloß nicht, Sacharow hätte eine Waise adoptiert!« Der Journalist winkte verächtlich ab.
    »Beinahe«, sagte der Sänger mit seiner

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