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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Intellekt und Charakterstärke. Die anderen
     ließen mit Lust ihre Wut über frühere Demütigungen an ihnen aus. Das endete mit schlimmen Nervenzusammenbrüchen, die Jungen
     mußten häufig ins Krankenhaus eingewiesen werden. Und dort … Sie verstehen. Jedenfalls haben nur zwei davon in ein normales
     Erwachsenenleben gefunden. Sascha Sergejew und Tolja Tschuwiljow.«
    »Was können Sie mir über diese beiden Jungen erzählen?« fragte Uwarow.
    »Ich erinnere mich kaum an sie. Das ist so lange her. Sascha Sergejew hob sich durch nichts von der Masse ab. Außer vielleicht
     dadurch, daß er, als er älter wurde, den Mädchen gefiel. Er war ein hübscher Junge. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht.
     Er hat schon im Internat hin und wieder getrunken, aber nicht übermäßig, nicht mehr als normal.« Frau Kadotschnikowa lachte
     bitter. »Wenn man es überhaupt normal nennen kann, daß ein Vierzehnjähriger trinkt.«
    »War er denn krank? Oder war es bei ihm genauso wie bei Kolja Koslow?«
    »Sascha war wirklich krank. Aber wissen Sie, mit dieser Diagnose kann man ganz gut leben. Unter normalen Bedingungen werden
     solche Kinder meist vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft. Sie sind praktisch veranlagt, diszipliniert und bewältigen jede
     Arbeit, die keine intellektuelle Anstrengung verlangt. Probleme haben sie dann, wenn sie selbständig Entscheidungen treffen
     müssen, logisch und abstrakt denken, ihr eigenes Handeln einschätzen. Ansonsten kommen sie zurecht. Aber was halte ich Ihnen
     hier einen Vortrag über Psychiatrie? Sehen Sie sich die heutigen Geschäftsleute an. Die sind doch total oligophren. Packen
     hart zu, haben hochentwickelte Instinkte, einen extrem unterentwickelten Intellekt, sind unfähig, mehr als einen Schritt im
     voraus zu bedenken, zeigen einen animalischen Pragmatismus und schwere moralische Störungen. Aber ich schweife ab … Zu Sascha
     Sergejew ist das alles. Tolja Tschuwiljow, der hob sich ab von der Masse. Ich denke, er war gesund. Ein sanfter, stiller Junge,
     der ruhigste und bravste aus Koljas Truppe. Als Koslow weg war, hatte Tolja es leichter als die anderen. Er hatte keine Anfälle,
     rebellierte nicht. Die Lehrer und Erzieher mochten ihn. Nach der achten Klasse ist er Schlosser geworden, glaube ich …«
    »Was meinen Sie, mit welchem der beiden könnte Koslow noch befreundet sein?«
    »Schwer zu sagen. Ich denke, eher mit Tolja. Aber wer weiß – inzwischen sind so viele Jahre vergangen …«
     
    Das weitere Schicksal der beiden Zöglinge des Sonderkinderheims aus Koljas Truppe hatte sich durchaus günstig gestaltet. Die
     psychiatrische Diagnose war bei beiden revidiert worden, was durch offizielle Gutachten von Ärztekommissionen belegt war.
    Sergejew arbeitete in einer Autowerkstatt. Er trank, aber nicht übermäßig. War nicht vorbestraft.
    Tschuwiljow hatte nach der Schule eine Schlosserlehre gemacht, dann als Klempner in drei verschiedenen Moskauer Wohngebieten
     gearbeitet. Er war ebenfalls nicht vorbestraft und trank gar nicht.
    Vor einem Jahr hatte er bei seiner letzten Arbeitsstelle gekündigt und betätigte sich seitdem als Privatunternehmer. Er betrieb
     zwanzig Kilometer vom Stadtring entfernt ein kleines Restaurant.
    »Klempner – das ist interessant«, sagte Uwarow nachdenklich. »Noch dazu einer, der nicht trinkt.«
    Sehr bald stellte sich heraus, daß die meisten Wohnungen, in die Skwosnjaks Bande eingebrochen war, genau zu den Wohnungsverwaltungen
     gehörten, für die Tschuwiljow arbeitete. Auch zeitlich stimmte alles überein. Die festgenommenen Bandenmitglieder allerdings
     hatten die Frage, ob sie vor ihren Einbrüchen Tips bekommen hätten, kategorisch verneint.
    »Wo wir am leichtesten reinkamen, da sind wir rein«, behaupteten Skwosnjaks Komplizen unisono.
    Kaum anzunehmen, daß unbedingt sie alle den Tipgeber decken wollten. Vermutlich wußten sie einfach nichts von seiner Existenz.
     Nur Skwosnjak hatte mit ihm Kontakt gehabt.
    Der ehemalige »Debile« Tschuwiljow war nicht nur mit Kloreparaturen reich geworden. Aber beweisen ließ sich das nicht. Es
     gab keine Zeugen. Höchstens Skwosnjak …
    Wahrscheinlich hatte Skwosnjak seinen alten Freund aus der Heimkindheit in aller Stille benutzt, ihn immer wieder ein wenig
     angefüttert, ihn als stille Reserve aufgespart, sozusagen für einen schwarzen Tag. Wenn das so war, dann würde er sich demnächst
     an Tschuwiljow wenden müssen, denn der bewußte schwarze Tag war nun mit dem Tod des

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