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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Entschädigung
     für seine unglückliche Kindheit bekommen. Womöglich waren er und Kolja die einzigen, die eine solche Entschädigung erhalten
     hatten. Genauer gesagt, die sich selbst genommen hatten, was ihnen rechtmäßig zustand.

Sechsundzwanzigstes Kapitel
    »Soso. Sie erinnern sich also nicht, daß Sie getrunken haben. Und wie Sie Ihren Mann getötet haben, daran erinnern Sie sich
     auch nicht.« Untersuchungsführer Gusko sah Inna Selinskaja kalt und spöttisch an.
    Inna hätte am liebsten geschrien und mit den Füßen gestampft. Vor zwei Stunden hatte sie selbst den Notarzt und die Miliz
     angerufen. Es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen, daß man sie verdächtigen könnte. Sie hatte Stasdoch nicht getötet! Irgendwer war in der Nacht in die Wohnung eingedrungen. Da, sie hatte einen blauen Fleck am Hals! Man
     hatte sie ebenfalls erwürgen wollen. Und den Wodka hatte sie auch nicht gekauft und nicht getrunken. Sie hatten keinen Rasputin-Wodka
     im Haus gehabt! Das wußte sie ganz genau.
    »Ich sehe keinen blauen Fleck an Ihrem Hals«, erklärte der Arzt. »Aber Sie haben gestern sehr viel getrunken. Das sehe ich.«
    »Sie haben doch selbst gesagt, Sie und Ihr Mann wollten sich scheiden lassen. Sie schliefen getrennt, Ihr Verhältnis war in
     letzter Zeit angespannt.« Gusko sprach laut und gedehnt, als sei Inna taub oder blöd und verstünde nichts, wenn man normal
     mit ihr redete.
    »Ja, wir wollten uns scheiden lassen!« schrie Inna. »Heutzutage lassen sich alle scheiden! Aber ich habe ihn doch nicht getötet!«
    Inna konnte sich nicht verzeihen, daß sie die geplante Scheidung erwähnt hatte. Niemand hatte sie dazu genötigt. Obwohl –
     doch, das hatten sie. Gusko hatte ganz lässig, wie nebenbei, gefragt, ob sie und ihr Mann immer in getrennten Zimmern schliefen.
     Und da war ihr blöderweise rausgerutscht: Wir wollten uns scheiden lassen! Nun würden sie sämtliche Bekannten ausfragen, Galja
     würde von dem Anwalt reden, von der Wohnung. Und nicht nur Galja … Mit wem hatte sie noch über ihr Verhältnis zu Stas gesprochen?
     Ach, mit allen! Allen hatte sie davon erzählt, sie blöde Kuh! Aber wer konnte auch ahnen, daß es so enden würde?
    Inna zündete sich eine Zigarette an, beruhigte sich ein wenig und sagte: »Überprüfen Sie das Messer, da sind keine Fingerabdrücke
     von mir drauf. Und auf der Flasche auch nicht. Irgend jemand ist in die Wohnung eingedrungen, hat mich ausgeschaltet, mir
     den Wodka eingeflößt und dann Stas erstochen.«
    »Aber Inna« – der Untersuchungsführer seufzte –, »überlegen Sie doch mal selbst. Die Wohnungstür war von innen abgeschlossen
     …«
    »Wir haben ein Sicherheitsschloß!« fiel Inna ihm ins Wort. »Man kann beim Rausgehen die Tür einfach zuklappen.«
    »Das schon.« Gusko nickte. »Aber wie kommt man rein? Der Schlüssel lag auf dem Regal, das haben Sie selbst gesagt. Und die
     Tür war abgeschlossen. Es gibt keinerlei Einbruchsspuren. Und keinerlei Spuren, die darauf hindeuten, daß ein Dritter in der
     Wohnung war. Verstehen Sie? Dieser Dritte hätte praktisch auch keine Möglichkeit gehabt, in Ihre Wohnung zu gelangen. Wie
     denn, vielleicht durch die Wand?«
    »Ich war es nicht.« Inna drückte ihre Zigarette aus und fing an zu weinen.
    Man gab ihr ein Glas Wasser. Ihre Zähne schlugen klappernd gegen das Glas.
    Auf dem Messer könnten doch Fingerabdrücke von mir sein, überlegte sie, es ist ein Küchenmesser, das schärfste, das wir im
     Haus haben. Ich habe alles damit geschnitten – Brot, Wurst … Mein Gott, was soll ich nur tun? Sie werden mich verurteilen,
     ganz bestimmt. Warum sollten sie noch einen anderen suchen, wenn sie mich haben?
    Als der Leichnam aus der Wohnung getragen wurde, sammelte sich auf dem Hof eine kleine Menschenmenge.
    »Was Sie nicht sagen! Erstochen? Sie selber? Nein, so was, dabei sieht sie so anständig aus!«
    »Ja, ja, was der Wodka alles anrichtet!«
    »Mein Gott, sind das Zeiten …«
    »Vielleicht war sie’s ja gar nicht? Das muß schließlich erst ermittelt werden …«
    »Aber ja, sie war’s! So sind sie heutzutage alle! Und wenn sie sie erschießen – recht so! Als Warnung für andere.«
    »Erst mal müssen sie’s beweisen …«
    »Was heißt hier beweisen? Sie hat sich vollaufen lassen und ihm dann besoffen ein Messer in den Leib gerammt …«
    Die Menge der alten Frauen und Mütter mit Kinderwagen summte und flüsterte. Auf unbegreifliche Weise wußte bereits der ganze
     Hof

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