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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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nicht, was er damit anfangen sollte.
    Zunächst müßte das Haus komplett saniert werden. Doch das war so teuer, daß man von dem Geld ein weiteres Haus hätte kaufen
     können. Das Grundstück lag zwar im renommierten Touristenort Karlštejn, aber ziemlich ungünstig, ein ganzes Stück vom Zentrum
     entfernt hinter einem Hügel. Das Haus war Anfang des Jahrhunderts gebaut und seitdem offenbar nie renoviert worden. Alles
     mußte von Grund auf saniert werden, einschließlich Wasserleitungen und Kanalisation. Oder man verkaufte es zu einem Spottpreis.
     Jiří konnte sich zu beidem nicht entschließen. Als sie sich zu dritt die Ruine angesehen hatten und auf den Dachboden gestiegen
     waren, hatte Denis gesagt: »Vielleicht ist hier ja irgendwo ein Schatz versteckt? Der Ort ist ideal dafür. Schau doch mal
     richtig nach, vielleicht hat deine alte Tante dir eine Überraschung hinterlassen?«
    Als Anton die großen tschechischen Druckbuchstaben erblickte, erinnerte er sich deutlich an diese Worte seines Bruders und
     ihren fröhlichen Ausflug nach Karlštejn. Das war noch gar nicht so lange her – Ende Dezember war das gewesen, kurz vor Silvester.
    Auf dem Boden lag allerlei Gerümpel herum, kaputte Möbel, schimmelüberzogene Stapel alter Zeitungen und Zeitschriften. Denis
     nahm eine Sperrholzkiste vom Boden, auf der das Wort »Mokka« stand, daneben das Logo einer brasilianischen Kaffeefirma: Eine
     hübsche Afrikanerin mit einem Korb auf dem Kopf, darunter eine dampfende Kaffeetasse.
    »Hallo! Gleich kommt das Gold rausgepurzelt!«
    »Spring hier nicht so rum, sonst bricht der Fußboden durch!« schimpfte Jiří.
    Anschließend tranken sie in der kleinen Bahnhofskneipe Bier.
    »Jiří, wenn du dich diesen Sommer nicht um das Haus kümmerst, überlebt es den Winter nicht«, sagte Anton.
    »Ich kann nicht.« Jiří, nach sieben Bier schon ziemlich betrunken, schüttelte den Kopf. »Ein Winter mehr oder weniger, darauf
     kommt’s doch nicht an.«
    Anton wußte genau, daß Jiří diesen Sommer nichts an dem Haus machen würde. Auch Denis hatte das gewußt. Ein ganzes Jahr lang,
     bis zum nächsten Sommer, würde dort also niemand auftauchen.
    Auf dem Boden stand die Mokkakiste. Und was Türkei und Brunhilde bedeuteten, war ohnehin klar. Denis hatte gewußt, daß er
     gleich getötet werden würde. Als er das Fax schrieb, wußte er es schon.
    »Ihr Bruder war offenbar sehr nervös, als er das geschrieben hat«, sagte Vera leise.
    Sie saß neben Kurbatow, zusammengekauert und die Arme um sich geschlungen. Anton holte die Thermosflasche hervor, goß Kaffee
     in den Becher und hielt ihn ihr hin. Er selbst zündete sich eine Zigarette an.
    Nach ein paar Schlucken Kaffee bat Vera ihn um eine Zigarette.
    Er schraubte die Thermoskanne zu, zog sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern.
    »Als Denis das schrieb, da wußte er, daß man ihn töten würde.«
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Vera leise, »entschuldigen Sie, daß ich Sie am Telefon so oft beschimpft habe.«
    »Nicht doch« – er lächelte –, »das hätte ich an Ihrer Stelle auch getan. Ich kann mir gut vorstellen, wie man Sie mit Anrufen
     genervt hat. Sagen Sie, das Mädchen, Sonja – ist das Ihre Tochter?«
    »Nein. Sonja ist die Tochter einer guten Freundin. Sie wohnt im Moment bei mir. Ihre Eltern sind beide auf Dienstreise. Aber
     woher kennen Sie Sonja?«
    »Von heute morgen, am Telefon.« Anton lächelte. »Sie wollte wissen, womit unsere Firma gehandelt hat.«
    »Richtig – womit hat denn Ihre Firma gehandelt?«
    »Ach, mit gar nichts. Mein Bruder und ich hatten uns wieder mal auf ein Abenteuer eingelassen, diesmal als Vermittler für
     Immobilienkäufe in Tschechien. Wissen Sie, es ist nämlich gerade in, ein Haus oder eine Wohnung in Tschechien zu kaufen. Und
     wir beide sind dort aufgewachsen, dort zur Schule gegangen, wir beherrschen die Sprache wie eine zweite Muttersprache. Wir
     haben Juristen gefunden, die uns halfen, die nötigen Papiere aufzusetzen. Und dann haben wir pleite gemacht … Na ja, das ist
     uninteressant. Vera, wie sieht es mit Ihrer Zeit aus? Haben Sie es eilig?«
    »Wieso?«
    »Wir könnten zusammen irgendwohin gehen, etwas essen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    Vera überlegte. Sie wollte im Grunde allein sein, einfach durch die Straßen laufen und mit niemandem reden. Zu Hause war Fjodor,
     mit ihm wollte sie am allerwenigsten über Stas reden … Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, jetzt mit einem vollkommen

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