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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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»die Täter hätten kaum zugelassen, daß ein so auffälliger
     Gegenstand in einem Moskauer Antiquitätengeschäft auftaucht, noch dazu am Arbat. Sie versetzen ihr Diebesgut in anderen Städten.
     Es ist durchaus möglich, daß Sie sich irren. Ich verstehe ja, daß Sie die Ermittlungen unterstützen wollen, aber besser, jeder
     erledigt seinen Job.«
    Wolodja war sich jedoch ganz sicher: Dies war die Uhr seines Ururgroßvaters, die die Täter aus seiner Wohnunggestohlen hatten, aus jenem glücklichen, wunderbaren Leben, das nun für immer vorbei war.
    Wolodja opferte seinen gesamten Monatslohn und seine Ersparnisse und kaufte die Uhr. Als die alte Frau ihr Geld holen kam,
     folgte er ihr.
    Fortan verbrachte er seine gesamte Freizeit in der stillen Arbatgasse, vor einem alten, halb verfallenen Haus mit Gemeinschaftswohnungen.
     Er studierte den Tagesablauf der Alten, wußte, wann sie aufstand, wo sie ihr Brot kaufte, wieviel Zeit sie auf der Bank vorm
     Haus verbrachte und welche Zeitungen sie am Kiosk kaufte. Er fand bald heraus, daß sie gar nicht so einsam war. Ein paarmal
     besuchte sie ein kleiner, untersetzter Mann um die Sechzig, bescheiden und ordentlich gekleidet.
    Dieser Herr war bedeutend schwieriger zu beschatten als die Oma. Er war äußerst vorsichtig, als rechne er damit, daß ihm jemand
     folgen könnte. Das interessierte Wolodja an dem ordentlichen Dicken am meisten. Schon bald hatte Wolodja ihn verloren, ohne
     herausgefunden zu haben, wo er wohnte und arbeitete. Wohl oder übel mußte er in die Arbatgasse zurückkehren. Aber dort tauchte
     der Dicke nicht mehr auf.
    Wolodja maß die Zeit nun mit der alten goldenen Taschenuhr. Wenn er sich das kalte, aber lebendige Uhrwerk ans Ohr hielt,
     dachte er daran, daß Tag für Tag verstrich, Monat um Monat und das Böse noch immer ungestraft blieb.
    Er wußte inzwischen, daß er nicht eher Ruhe geben würde, bis er auf eine Spur der Bande gestoßen war. Und weiter? Zum Staatsanwalt?
     Erneut zusehen, wie der dünne, mit soviel Mühe gefundene Faden ihm wieder entglitt? Oder sich eine Pistole besorgen und selbst
     mit den Banditen abrechnen? Aber das war lächerlich.
    Das rasche Ticken der alten Uhr, das wie das Schlagen eines Herzens klang, sagte ihm, was er tun mußte. In der Schule hatte
     sich Wolodja für Chemie interessiert. Nach derzehnten Klasse hatte er sich am Institut für chemische Technologie beworben, die Aufnahmeprüfung jedoch nicht bestanden, und
     dann mußte er zur Armee.
    In der Einzimmerwohnung gab es eine Abstellkammer. Darin richtete sich Wolodja ein richtiges Labor ein. So harmlose Substanzen
     wie Kaliumpermanganat, Puderzucker, Schwefel, Salpeter und Aktivkohle konnte man überall kaufen, ohne Verdacht zu erregen.
    Das Böse mußte bestraft werden. Bald hatten Wolodjas geschickte Hände eine Waffe geschaffen. Laufend perfektionierte er sein
     todbringendes Spielzeug. Sein Hauptziel blieb die Bande. Doch manchmal, wenn er allzu dreiste Offenbarungen des Bösen beobachtete,
     konnte er sich nicht beherrschen. Hinterher überkam ihn jedesmal ein Gefühl eigentümlicher Leere. Er wußte nicht – war das
     Erleichterung, weil er seine Pflicht getan hatte, oder war seine Seele dabei zu vereisen, wurde sie kalt und unbarmherzig?
     Er redete sich ein, daß die raffinierten Sprengladungen, die er baute, hin und wieder erprobt werden mußten. Oder etwa nicht?
    Indessen kehrte er immer wieder zurück in die Arbatgasse. Es zog ihn dorthin, er stand frierend in Wind und Regen, schwitzte
     in der prallen Sonne und wartete auf den Dicken. Und dann traf er ihn zufällig ganz woanders. Eines Tages verließ Wolodja
     in der Pause den Metroschacht und ging hinaus auf die Straße, um sich ein paar Hamburger zu kaufen, und stieß unvermittelt
     auf den Dicken. Er vergaß die Hamburger und verfolgte den Dicken, der im Tor einer Makkaronifabrik verschwand.
    Wolodja nahm eine Woche Urlaub und hielt vom frühen Morgen an vor der Makkaronifabrik Wache. Offenkundig arbeitete der Mann
     hier. Nun mußte Wolodja nur noch herausfinden, wo er wohnte, und auch das gelang ihm. Wolodja vermutete, daß der Dicke mit
     Namen Golowkin nur indirekt mit der Bande zu tun hatte.
    Eines schönen Tages beobachtete Wolodja den Dicken zusammen mit einem breitschultrigen jungen Burschen in teurer Nappalederjacke
     und weiten Raverhosen. Der Bursche fuhr einen nagelneuen blauen Shiguli, traf sich mit stereotypen langbeinigen Mädchen und
     hing in Bars und Casinos

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