Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
drehte den Wasserhahn zu.
    »Schaust du noch bei mir rein?« fragte Kljatwa, der neben Skwosnjak den Weg entlanglief. »Dann erzähl ich dir ein paar Neuigkeiten,
     und überhaupt können wir ein bißchen quatschen. Ich bin jetzt Steinmetz.«
    Skwosnjak nickte. »Ich komme vorbei.«
    In der Werkstatt stand in einem kleinen Verschlag ein ramponierter runder Tisch, darauf ein Teller mit aufgeschnittenen Tomaten,
     Brot und Wurst. Kljatwa zwinkerte Skwosnjak zu und holte aus einem Schränkchen eine angefangene Flasche Smirnow-Wodka.
    »Schon am frühen Morgen?« fragte Skwosnjak spöttisch und setzte sich auf einen wackligen Hocker.
    »Dann kann ich besser arbeiten.« Kljatwa zuckte die Achseln. »Ein Leben ist das jetzt, lauter junge Leichen, und du weißt
     ja, ich leide immer mit« – er schniefte –, »mit jedem einzelnen leide ich mit, als wär ich mit ihm verwandt. Neulich war eine
     Frau hier, kultiviert, nettes Gesicht. Bestellt einen Grabstein für ihren Sohn und weint keine einzige Träne. Na, meine Liebe,
     denke ich, du wirst auch bald den Himmel verrußen. Die vor Kummer heulen, die leben länger. Aber die alles in sich reinfressen,
     die verbrennen von innen. Schade, daß du nicht mit mir trinken kannst.« Er holte geräuschvoll Luft, goß sich ein Wasserglas
     voll Wodka, kippte es mit einer raschen, gierigen Bewegung hinter und zündete sich eine Zigarette an. »Der ihren jüngsten
     Sohn haben sie im Ausland umgebracht, der Ältere hat die Urne hergeschafft. Gut, wenn man zwei Kinder hat. Wenn ich geheiratet
     hätte, dann hätte ich mir gleich drei angeschafft.Für alle Fälle. In diesen Zeiten! Hier, kuck dir bloß mal meine Aufträge an! Alle Jahrgang fünfundsechzig, siebzig.«
    Skwosnjak wußte, daß Kljatwa nur schwadronierte. Er empfand keineswegs Mitleid mit den jungen Toten. Es waren schon viele
     durch seine Hände gegangen. Solche, die mit Tränen und Orchester begraben wurden, und solche, die spät in der Nacht eingebuddelt
     wurden, in fremden Gräbern. Ein bißchen Erde drauf, und am nächsten Tag wurde der Sarg mit dem legalen Toten darüber gesenkt.
    Bei dem halbtrunkenen Gejammer seines alten Bekannten erholte sich Skwosnjak. Ganz entspannt saß er da, hatte sogar die Augen
     geschlossen. Solch leeres Geschwätz eines ungefährlichen, vertrauten Menschen war für ihn wie Meeresrauschen oder Blätterrascheln.
     Man mußte nicht zuhören, war aber auch nicht ganz allein.
    »Hier, schau mal, was für ein sympathischer Bursche, Denis Wladimirowitsch Kurbatow, sieht gar nicht aus wie ein Krimineller.
     War offenbar trotzdem ein Auftragsmord.« Kljatwa hielt Skwosnjak ein Foto vor die Nase, das die Mutter gebracht hatte, damit
     der Steinmetz es auf Emaille übertrug und am Grabstein befestigte.
    Skwosnjak öffnete die Augen. Lange und aufmerksam betrachtete er das Foto. Er hatte ein exzellentes Gedächtnis für Gesichter.
     Dies hier hatte er schon einmal gesehen, ganz sicher. Das hatten die Türken vor einem Jahr gefaxt. Damals war er also mit
     dem Heroin entwischt, und nun hatte er sich die Million unter den Nagel gerissen. Wie das Leben so spielte. Nicht zufällig
     war ihm heute an Sachars Grab die alte Geschichte mit den Türken eingefallen.
    »Sag bloß, du kennst den?« fragte Kljatwa.
    »Ich hab ihn wohl schon mal gesehen«, bestätigte Skwosnjak gleichmütig. »Hör mal, du hast doch bestimmt auch die Adresse und
     Telefonnummer. Wer einen Grabstein bestellt, füllt einen Auftragsschein aus.«
    »Was denn, ist er wirklich ein Bekannter von dir?« Kljatwa kniff die Augen zusammen.
    Skwosnjak stand auf und sah dem Steinmetz einige Sekunden lang in die Augen.
    »Aber ich … Nein, hab ich nicht, echt. Was soll ich mit der Adresse? Ich mach die Arbeit, und dafür krieg ich mein Geld. Der
     Direktor« – Kljatwa hickste laut –, »der hat das alles, die ganzen Dokumente für die Grabstelle, die Adresse und so. Ich hab
     nur das hier – Foto, Name, Daten …«
    »Schon gut«, sagte Skwosnjak leise.
    Er wußte: Kljatwa log nicht, warum sollte er? Den Auftrag erledigte er vermutlich schwarz, ohne Auftragsschein.
    »Haben sie die Urne schon beigesetzt?«
    Kljatwa nickte. »Vor zwei Tagen. Zu zweit, die Mutter und der ältere Bruder. Sonst keiner. Den Grabstein hat die Mutter bestellt.
     Der Bruder war nicht mit. Sie haben hier eine Grabstelle, da liegt der Vater.«
    »Wo denn genau? In welchem Abschnitt, weißt du das noch?«
    Kljatwa nannte ihm auf Anhieb die Koordinaten der

Weitere Kostenlose Bücher