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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Grabstelle.
    »Hast du diesen Bruder auch gesehen?« fragte Skwosnjak beiläufig.
    »Nur kurz, von weitem. Ich sag doch, bei mir in der Werkstatt war nur die Mutter.«
    »Sehen die Brüder sich ähnlich?«
    »Na ja, ein bißchen schon. Ich glaube, der Ältere hat längere Haare. Aber sonst – den einen kenne ich ja nur vom Foto, und
     den anderen, der noch lebt, den hab ich, wie gesagt, nur kurz von weitem gesehen.«
    »Na schön.« Skwosnjak zuckte leicht mit dem Kopf. »Wann ist denn der Grabstein fertig?«
    »Frühestens in vier Wochen.«
    »Na dann, mach’s gut, Kljatwa.«
    »Du gehst schon? Wir haben doch gar nicht richtig zusammengesessen. Ach ja – soll ich unsere Leute von dir grüßen oder wie?«
    »Nicht nötig.«
    »Und du, wohnst du zur Zeit in Moskau oder wo?«
    Skwosnjak sah Kljatwa noch einmal in die Augen, und der biß sich auf die Zunge. Die letzte Frage war überflüssig gewesen.
    Ohne ein weiteres Wort schloß Skwosnjak leise die Tür hinter sich. Doch er hatte es nicht eilig, den Friedhof zu verlassen,
     er ging in die leere, halbdunkle Kapelle. Die Morgenmesse war zu Ende, alte Frauen in Kittelschürzen und mit Kopftüchern fegten
     den Boden, sammelten Kerzenstummel ein, kratzten heruntergetropftes Wachs ab und redeten dabei leise miteinander.
    Skwosnjak kaufte zwei der dicksten, teuersten Kerzen. Die eine stellte er vor der Allerheiligen-Ikone auf, für das Seelenheil
     des verstorbenen Gottesknechts Sachar.
    »Danke, Sachar«, murmelte er, »ich hab dich heute nicht umsonst besucht. Vielleicht war’s ja nur Zufall, aber vielleicht war’s
     auch ein Geschenk für mich von deiner Seele.«
    Die zweite Kerze stellte er vor der Ikone des heiligen Nikola auf, für seine eigene Gesundheit.
    Skwosnjak glaubte nicht an Gott, war aber auch kein Atheist. Die Kerzen kaufte er eher aus Aberglauben – er spürte, daß es
     da eine gewisse Macht gab, die man respektieren, mit der man sich gut stellen und der man dankbar sein mußte, wenn einem im
     stürmischen Strom des Lebens ein plötzliches Banditenglück widerfuhr.
    Der verstorbene Sachar hatte sich für orthodox gehalten. Er war zwar nicht zur Beichte gegangen und hatte nie das Abendmahl
     empfangen, aber in der Fastenzeit aß er kein Fleisch, und zu Ostern schickte er stets jemanden aus seiner Gefolgschaft nach
     Osterkuchen und gefärbten Eiern.Wieder allein, wurde der Steinmetz Kljatwa schlagartig nüchtern, trat zum Telefon, nahm den Hörer ab, zögerte eine Weile,
     legte wieder auf und murmelte vor sich hin: »Schütz dich selbst, dann schützt dich Gott«, setzte sich hin und rauchte eine
     Zigarette. Dann ging er hinaus und schlenderte über den Friedhof. Als er zurück war, nahm er erneut den Telefonhörer ab, wählte
     eine Nummer, die er auswendig kannte, und sagte ein paar Worte, den Hörer mit der Hand abschirmend.
     
    Anton Kurbatow war aus Alexandrow zurückgekehrt und fühlte sich vollkommen zerschlagen. Vor zwei Tagen hatte er seine Mutter
     zur Tante gebracht, nachdem sie die Urne beigesetzt und den Grabstein in Auftrag gegeben hatten. Aber er war unruhig, fürchtete,
     er habe zuwenig Geld dagelassen und sei überhaupt zu früh abgereist. Er mußte sie besuchen, mußte sehen, wie es ihr ging.
    Am Abend zuvor hatte Olga ihn zu überreden versucht, zusammen nach Alexandrow zu fahren.
    »Du wolltest mich doch schon lange deiner Mutter vorstellen. Das wäre eine passende Gelegenheit.«
    Anton hatte nie den Wunsch geäußert, Olga seiner Mutter vorzustellen. Und die Gelegenheit war keineswegs passend.
    »Mutter ist im Moment nicht in der Verfassung, jemanden kennenzulernen«, sagte er sanft. »Lieber später, ein andermal.«
    »Aber Anton!« Olga lächelte. »Ich bin doch für dich keine Fremde. Ich weiß, was für ein Kummer euch zugestoßen ist. Ebendarum
     will ich sie kennenlernen, ich will helfen. Ich habe eine gute Aura. Ich werde deine Mutter rasch wieder aufheitern.«
    Anton wollte sagen, daß es ziemlich schwierig sein dürfte, eine Frau, die gerade ihren Sohn verloren hat, aufzuheitern, schwieg
     aber.
    Olga wollte ihn unbedingt begleiten, sie hoffte, auf diese Weise ihr augenblickliches Zusammenleben in sichere eheliche Bahnen
     zu lenken. Taktisch gesehen, war das völlig richtig. Nur einen sehr vertrauten Menschen nahm man in einer solchen Situation
     mit zu seiner Mutter. Natürlich war Olga längst mehr als eine zufällige Freundin. Er war ihr unheimlich dankbar und so weiter.
     Doch feste Ehebande mit ihr zu

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