Keiner wird weinen
sie kaum. Na schön, da war ein junger Mann aufgetaucht, hatte Matwej zurückgebracht, im Bad alles repariert. Na schön,
Vera gefiel ihm. Und weiter? Kaum anzunehmen, daß sich daraus irgend etwas ergeben würde. Vermutlich hatte er längst vergessen,
daß er Vera ins Restaurant eingeladen hatte, und würde nie wieder auftauchen.
Punkt sieben klingelte es an der Tür. Nicht unten an der Wechselsprechanlage, sondern direkt an der Wohnungstür.
»Fjodor? Was für ein Fjodor?« hörte Vera ihre Mutter im Flur fragen.
»Das ist der, der Matwej gefunden hat!« erklärte ihr Sonja.
Fjodor trug einen leichten hellen Anzug und duftete nach gutem Rasierwasser. In der Hand hielt er einen großen Strauß weißer
Rosen. Wieder wirkte er nagelneu und blitzsauber.
»Sie sind noch nicht fertig, Vera?« Er küßte allen drei Damen galant die Hand, zuerst Nadeshda, zum Schluß Sonja, womit er
das Mädchen ziemlich verwirrte.
»Donnerwetter«, murmelte das Mädchen, »wie ein Bräutigam, echt!«
Er sah wirklich aus wie ein Bräutigam. Den Blumenstrauß gab er Veras Mutter.
»Danke«, sagte sie lächelnd, »auch für Matwej und für die Waschmaschine.«
Vera verschwand in ihrem Zimmer, sich umziehen. Sie empfand plötzlich eine fröhliche Schadenfreude: Sie ging mit einem fremden
Mann ins Restaurant, um Selinski zu ärgern.
Das hast du davon, Selinski! Du kannst endlos heiraten und dich scheiden lassen, und ich soll dir treu bleiben? Du meinst,
ich gefalle niemandem? O doch, und ob! Übrigens ist dieser Fjodor auf seine Weise sehr charmant, dachte sie, während sie ein
langes Kunstseidenkleid anzog und sich das Haar kämmte.
Das lange, leicht taillierte Kleid und die Sandalen mit den hohen Absätzen machten sie größer und schlanker.
Fjodor wartete in der Küche, er saß mit ihrer Mutter und Sonja am Küchentisch und unterhielt sich artig mit ihnen.
»Aber bitte nicht zu spät«, sagte Veras Mutter, als sie Vera zum Abschied küßte, und flüsterte ihr ins Ohr: »Ein sehr netter
junger Mann!«
Fjodor führte sie in ein kleines Restaurant ganz in der Nähe.
Die Tische waren durch kleine, mit echtem Efeu bewachsene Gitter voneinander getrennt. Der Kellner, dessen Schnurrbart in
Form und Farbe eine exakte Kopie seiner schwarzen Fliege war, brachte die Karte.
Vera erinnerte sich, daß sie das letztemal bei Verhandlungen mit irgendwelchen Belgiern in einem Restaurant gewesen war. Überhaupt
dachte sie bei Restaurants vor allem an Arbeit. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie mal einfach so in einem Restaurant
oder Café gesessen hatte, nicht als Dolmetscherin.
»Was wollen Sie trinken?« fragte der Kellner.
»Vera, das ist eine Frage an Sie. Ich trinke nicht«, sagte Fjodor lächelnd.
Auch noch Nichttrinker, gratulierte Vera sich im stillen. Was für ein Glück!
»Für mich bitte trockenen Weißwein, nur ein Glas.«
Sie bestellten jeder ein Störschaschlik. Vera holte ihre Zigaretten aus der Tasche und zündete sich eine an.
»Komisch, daß Matwej sich so schlecht benimmt«, sagte sie. »Heute ist er nicht mal rausgekommen, um Sie zu begrüßen.«
»Wissen Sie, vermutlich erinnere ich ihn an die schlimmsten Minuten seines Lebens«, sagte Fjodor nachdenklich.
»Aber Sie haben ihn doch gefunden und vor den Rüden gerettet.«
»Trotzdem bin ich für ihn ein Fremder. Er wollte nach Hause, zu seiner Familie. Er war nervös, ist ständig hin und her getigert,
wollte nicht fressen. Diesen Ausnahmezustand hat er in gewissem Maße auf mich übertragen, darum will er mich nicht sehen,
er will nicht an seine Erlebnisse erinnert werden.«
»Deuten Sie da die Hundepsyche nicht zu kompliziert? Sie analysieren ja Matwej quasi nach Freud«, sagte Vera lachend. »Dabei
ist er bloß ein verwöhnter, verzogener Hund.«
»Wie gesagt, Vera, diesem Hund verzeihe ich alles, ich werde ihm ewig dankbar sein. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich
Sie nie kennengelernt. Und nun lebe ich mit dem ständigen Gefühl eines Feiertags im Herzen. Wissen Sie, so etwas ist mir noch
nie passiert. Ich bin heute morgen aufgewacht und war glücklich bei dem Gedanken, daß es Sie gibt und daß ich Sie heute sehen
werde.
»Ist das Ihr Ernst?« Vera neigte den Kopf ein wenig zur Seite und sah ihn aufmerksam an.
Sie hatte keine Brille auf und kniff deshalb die Augen zusammen.
»Wieso sollte ich das sagen, wenn ich es nicht ernst meinte? Überlegen Sie doch selbst – wieso? Was hätte ich davon?«
»Sie
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