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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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übertreiben vermutlich, aber ich höre es trotzdem gern.«
    »Aber ich übertreibe nicht.« Er langte über den Tisch und berührte Veras Hand. »Ich bin es einfach gewohnt, die Dinge beim
     Namen zu nennen. Als ich Sie zum erstenmal sah, ist mir regelrecht schwindlig geworden. Ich hatte nur eine Angst: Vielleicht
     sind Sie ja verheiratet? Doch dann hätte ich Sie eben entführt, geraubt, mir irgend etwas einfallen lassen.«
    Vera entzog sich vorsichtig seiner heißen Hand. Nicht, daß ihr dieser Fjodor gar nicht gefiel. Nein, er gefiel ihr, aber er
     machte ihr auch ein bißchen Angst, schüchterte sie ein, und sie verstand nicht, wodurch eigentlich. Zudem hatte sie fast ihren
     gesamten Vorrat an starken Gefühlen bereits für einen anderen aufgebraucht.
    »Sie wirken wie vereist. Sie sind bestimmt einmal sehr verletzt worden, ja?« fragte er und sah sie fragend an.
    »Wie kommen Sie darauf? Nein, mich hat niemand gekränkt. Ich bin generell nicht sehr emotional«, log Vera.
    »Trotzdem glaube ich, daß Ihnen jemand weh getan hat. Das wird nicht mehr vorkommen. Das verspreche ich Ihnen. Solange ich
     an Ihrer Seite bin, wird Ihnen niemand weh tun. Ich sehe doch, Ihnen hat jemand weh getan, hat Sie nicht so geliebt, wie Sie
     es verdienen.«
    »Wie verdiene ich es denn?« Vera nippte an dem herben Wein.
    Irgendwas stimmt hier nicht, dachte sie, er redet wie in einer Fernsehserie. Aber ich höre es trotzdem gern. Wenn ich ehrlich
     bin – so etwas hat mir noch nie jemand gesagt. Klingt zwar ein bißchen nach kitschiger Pathetik, doch solche plötzlichen Gefühle
     lassen sich tatsächlich schwer in Worte fassen. Vielleicht habe ich bloß keine Ahnung? Vielleicht bin ich ja wirklich vereist?
     Und um aufzutauen und zu mir zu kommen, brauche ich so eine schöne Romanze. Ich hatte noch keinen Mann außer Stas. Jedesmal
     wenn ich mit einem anderen kurz vor einer ernsten Beziehung stand, tauchte Stas auf, erklärte, ohne mich sei er verloren,
     zwischenuns solle nun alles anders werden, und ich glaubte ihm.
    Der Kellner hatte inzwischen den Tisch mit Vorspeisen vollgestellt – Lachs, schwarzer Kaviar, Riesengarnelen. Angesichts dieser
     Pracht stieß Vera einen leisen Pfiff aus,
    »Verdient man beim Wachschutz so viel?«
    »Was soll ich sagen? Kommt drauf an, wen man bewacht. Ich verdiene so mittel. Aber heute habe ich etwas zu feiern.«
    »Geburtstag?«
    Er lachte fröhlich und ansteckend.
    »Nein, Geburtstag habe ich im Januar. Mein Anlaß sind Sie, Vera. Ich habe immer davon geträumt, eine Frau wie Sie zu treffen,
     mit solchen Haaren, solchen Augen, mit einem solchen Lächeln. Aber nicht das ist entscheidend, nicht das Äußere, sondern etwas
     ganz anderes. Ich fühle einfach: Sie sind meine Frau.«
    »Oho! Was Sie nicht sagen! Genau meine Größe, mein Schnitt. Bitte einwickeln!«
    Diesmal lachte er nicht. Er heftete seine Augen auf Vera, und sie spürte darin etwas Hartes, Unangenehmes.
    »Habe ich Sie gekränkt, Fjodor? Verzeihen Sie.«
    »Nein, Vera, Sie können mich nicht kränken. Ich verstehe ja, es fällt Ihnen schwer zu glauben, daß ich mich so auf Anhieb
     in Sie verliebt habe, aber ich kann nichts dagegen tun. Wahrscheinlich sind Sie ein gebranntes Kind, doch das ist nicht meine
     Schuld. Auch ich bin ein gebranntes Kind, ich habe so manches mitgemacht, das Sie sich gar nicht vorstellen können. Ich weiß,
     wir beide sind sehr verschieden. Ich habe nicht studiert, bin ohne Vater aufgewachsen, meine Mutter war Geschirrspülerin in
     einer schmuddeligen Kantine, ich habe mein Leben lang nur Schmutz zu sehen gekriegt, Gemeinheit, Verrat, betrunkene Visagen.
     Sie dagegen sehen aus wie ein Engel, darum lachen Sie mich bitte nicht aus.«
    Stas hat auch mal zu mir gesagt, ich sähe aus wie ein Engel, genauer, wie ein Rembrandtscher Cherubim. Fjodor hat von einem
     gewissen Rembrandt, der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in Holland lebte, bestimmt nie etwas gehört. Unsinn, so ungebildet
     ist er nicht, und er ist schon gar nicht dumm.
    »Ich bin auch ohne Vater aufgewachsen«, sagte Vera ernst, »und studiert oder nicht, das spielt dabei keine Rolle. Doch je
     älter man wird, desto weniger glaubt man an ernsthafte Gefühle, besonders wenn sie so plötzlich entstehen. Ich lache Sie nicht
     aus, ganz und gar nicht. Aber sagen Sie – Sie sind anscheinend leicht zu kränken?«
    »Na ja, ein bißchen.« Er lächelte sanft und goß sich einen Tropfen Wein in sein leeres Glas. »Trinken wir

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