Keinmaerchen
kratzte. “So, mein Kleiner”, sagte er. “Wie magst du deine Pfannkuchen am liebsten?”
Der Junge öffnete den Mund und schloss ihn wieder. “Frau Schmitt?”, fragte er.
“Ja, Liebling, was möchtest du?”
“Wie viele Personen leben denn hier?”
Frau Schmitt zählte tonlos an ihren Fingern ab. “Fünf”, sagte sie dann. “Manchmal sechs. Aber Bozo hat sich schon lange nicht mehr blicken lassen. Darüber bin ich auch ganz froh. Der Kerl ist noch verrückter als der Patient. Und dieses Lachen …” Sie schüttelte sich, dass ihre Zöpfe flogen. “Gruselig. Wirklich gruselig. Ich habe keine Ahnung, wo er sich herumtreibt und ich will es auch gar nicht wissen.”
“Der Patient”, sagte der Junge. “Das war der Mann, der mich hergebracht hat?”
“Ja, ein verdammter Spinner. Entschuldige die unflätige Ausdrucksweise, Jungchen.”
“Und wer sind die anderen drei?”
“Da wäre noch Konstanze, ein ganz reizendes Mädchen, wenn sie nur nicht diese Vorliebe für Sprengstoff hätte, aber du wirst ihr vorerst nicht begegnen, sie hat Stubenarrest bis Weihnachten. Dann hätten wir noch Herrn Blum. Ein ruhiger und sehr feiner Mitbewohner. Meist steckt er mit seiner Nase in Büchern.” Frau Schmitt seufzte. “Leider bemerkt er nichts und niemanden um sich herum, wenn er seine Bücher studiert. Sie riss sich von ihren Gedanken los und sagte: “Herrje, ich plappere und plappere und du verhungerst inzwischen, Kindchen. Wie möchtest du deine Pfannkuchen? Mit Äpfeln oder Blaubeeren?”
“Mit Äpfeln, bitte. Aber Sie sagten, es leben sechs Leute hier. Wer ist der sechste?”
“Psst!” Frau Schmitt sah über ihre Schulter und setzte sich neben den Jungen auf die Couch. Ihr Schürzenkleid roch nach Mottenkugeln und ihr Atem nach Holunderlikör. “Ich hätte ihn gar nicht erwähnen dürfen”, flüsterte sie. “Er mag es nicht, wenn man über ihn redet.” Sie rückte ihren Busen zurecht und noch näher an den Jungen heran. “Der Schattenmann”, hauchte sie kaum hörbar in sein Ohr. Der Junge schluckte, eine Gänsehaut lief über seine Arme. “Er schleicht sich lautlos an dich heran”, fuhr Frau Schmitt fort. “Und wenn du es am wenigsten erwartest …” Wieder sah sie über ihre Schulter. “Packt er dich!” Sie riss den Jungen an ihre Brust und brach in schallendes Gelächter aus, als der spitz aufschrie. “Hab ich dich gekriegt!” Tränen liefen über ihre Wangen und sie wischte sich mit der Schürze über die Augen.
Dann stand sie abrupt auf. Das Lachen war wie weggewischt. “Äpfel also”, sagte sie. “Eine gute Wahl, auch wenn ich zu Blaubeeren tendiert hätte.” Sie kniff den Jungen in beide Wangen. “Du herziges Kerlchen! Warte hier, bis Frau Schmitt deine Pfannkuchen bringt.”
Sie verschwand wieder im Nebenraum und begann sofort geschäftig mit Schüsseln und Töpfen zu klappern. Dabei trällerte sie ein Lied, in dem es um einen kleinen Hund und ein Mädchen mit roten Schuhen ging. Soweit man den Text verstehen konnte.
Der Junge schlich derweil durchs Zimmer und suchte den Ausgang. Aber da war nichts, die einzige Tür, die nicht einmal eine Tür war, führte zu Frau Schmitt in die Küche. Es gab auch kein Fenster. Schließlich setzte er sich wieder auf die Couch und versuchte seine Gedanken zu ordnen. In seinem Kopf rauschte und dröhnte es und ein stechender Schmerz versuchte, sich durch die Schädeldecke zu bohren. Er massierte seine Schläfen und schloss einen Moment die Augen.
“So. Guck mal, was Frau Schmitt gezaubert hat.” Der Patient hatte die Perücke abgelegt und die Kittelschürze ausgezogen.
Der Junge nahm den Teller entgegen. Die Pfannkuchen dufteten wunderbar und sein Magen knurrte laut. Er rollte einen Pfannkuchen zusammen und biss hinein. “Danke”, nuschelte er. “Die Pfannkuchen schmecken wunderbar!”
“Das wird Frau Schmitt freuen.” Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Sessellehne, bis der Junge endlich aufgegessen hatte. “Da du ja nun satt und zufrieden bist, kannst du wieder gehen. Ich habe viel zu tun.” Er deutete auf das Holzstück. “Auf Wiedersehen!” Er setzte seine Arbeit fort und schenkte dem Jungen keine Beachtung mehr.
Der Patient war wirklich gut. Er schälte den Alb heraus, ohne einen einzigen Schnitt zu viel zu machen. “Wie lange machst du das schon?”, fragte der Junge.
Der Patient sah auf und rieb sich über die Augen. “Du bist noch hier”, sagte er. “Ich kann unmöglich noch jemanden
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