Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
Jährigen.
Sie haben sich auf unsere Begegnung ganz doll vorbereitet. Während ich in der anderen Klasse war, haben sie auf Zettel Fragen geschrieben. Jeder für sich, soviel er konnte, um die Wette. Diese Art scheint die beste Methode der Erziehung zu sein. Das Kraut ist auch hier das Hauptthema. Aber sie interessieren sich von Politik bis Wetter für alles. Boolah ist sehr angetan und kurbelt die Kinder an.
„Fragt ihn mal, welche Hits die Kids dort mögen. Sie spielen dort denselben Rock ‘n’ Roll, wie hier. Stellt euch mal vor, sogar die Jugendlichen in Moskau hören amerikanische Discomusik.“
Damit kurbelt er eine Fragen spuckende Maschinerie an, und es fliegen Stars und Automarken durch die Luft. Zwei volle Stunden hören wir einander zu, und wir amüsieren uns dabei sehr wohl. Wir spielen ein Spiel, in dem jeder ein eigenes Puzzle hat, das versucht er, indem er fragt, zusammenzustellen. Das macht das Ganze aufregend. Wir haben die halbe Welt auf unserer imaginären Landkarte, von der Großen Mauer in China bis zu der Großen Mauer in Berlin, ohne dass wir politische Zonen malen. Wir sprechen über Kulturen: Kommunistenkultur, Kapitalistenkultur, Hippiekultur, Rock ‘n’ Roll, Sport....
Es ist viel einfacher ein System durch die Gewohnheiten und das Verhalten der Menschen, die dort wohnen, kennen zu lernen, als durch politische Parolen und Aufkleber. Die Kinder können sowieso nichts mit der Politik anfangen. Für sie ist das abstrakt, sie brauchen handfeste Dinge, Geschichten, menschliche Begegnungen, menschliche Charaktere. Daraus basteln sie dann ihre Vorstellungen über ein Volk, oder System zusammen. Ich bemühe mich darum, positive und negative Sachen gleichermaßen in den Topf zu werfen, damit ich nicht den Fehler begehe, so oder so Propaganda zu betreiben.
Inzwischen bereichere ich meine eigene Tuchfühlung zu „Amerika“ mit neuen Farben. Ich kann viele Dinge mit Kindergefühl erleben, die ich als Erwachsene r schon intus habe. Komisch, die Kinder haben nicht die Einstellung, dass sie nur hier leben können, weil das hier der beste Platz der Welt wäre. Sie können es sich anderswo genauso schön vorstellen. Ich denke, das ist auch die oberste Forderung, was einem das Herumreisen oder Trampen stellt, nämlich: Der Mensch sollte genügend Naivität besitzen, um die Dinge, wie ein Kind erleben zu können, bevor er eine feste Meinung bildet.
Als wir uns verabschieden, bin ich überzeugt, dass eine gute Gesellschaft, ein gutes Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen braucht. Die sind noch in der Lage, alte Informationen sofort gegen neue einzutauschen oder sie zu verändern. Sie denken und fragen hier zwar amerikanisch, blicken trotzdem mit offenen Herzen auf die ganze Welt.
Auf dem Weg nach Hause halten wir bei einer vergammelten Tankstelle an. Das ist Whitethorn, das Zentrum dieser Gegend. Die Blechverkleidungen der beiden Zapfsäulen sind von oben bis unten mit Rostblümchen überzogen. Gegenüber des alten Servicegebäudes steht ein noch älteres, das ist die Post, daneben ein etwas neueres, aber genauso verkommenes Haus, das ist der Laden, indem sich haufenweise Bier, Bananen, Spagetti, Erfrischungsgetränke, undsoweiter in ein harmonisches Durcheinander vermischen. Chaos! Aber nur für mich. Der Verkäufer und die Stammkunden kennen sich in diesem Labyrinth gut aus. Es ist so, als wenn ein Automechaniker einen Motor zerlegt und die Teile wild durcheinander um sich verteilt, jedoch beim Zusammenbau findet er die kleinste Schraube mit geschlossenen Augen. Nun ja! Es existiert auch andere Ordnung, als die Symmetrie. Boolah dreht und wendet sich zwischen den verschiedenen Haufen, als wären sie Teil eines logischen Spieles. Und sie sind es auch, nur ich bin mit den Spielregeln nicht vertraut.
Draußen, vor einem mehreren Meter dicken Baumstumpf, steht eine große Holzkiste, voller Klamotten.
„Das ist unserer ‘Freikasten’“ sagt Boolah. „Alle Leute tun ihre Kleider, die sie nicht mehr brauchen, hier hinein und, wenn jemand irgendetwas braucht, nimmt er es raus.“
Die Anziehsachen und die Schuhe sind total durchnässt. Sie scheinen schon lange hier draußen zu stehen. Kein Wunder, dass ich keine brauchbaren Schuhe für meinen durchlöcherten Linken finde.
Zwei Hippies beobachten mich mit Lächeln. Sie trinken ihre Cola an dem aus Baumstämmen zusammengenagelten Tisch und paffen gemü tlich dazu.
„Die sind viel zu nass“ sagt der mit dem karierten Hemd.
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