Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
Hoffnungsschimmer von sich, wenn ich es mir doch noch anders überlege, finde ich ihn um zehn Uhr am Bahnhof bei dem Zug nach Los Angeles.
„Gut, wenn ich es mir anders überlege.“
Ich spüre kein Brennen mehr an der Fußsohle, denn ich brüte nur noch im Kopf darüber nach, was wohl der Typ eigentlich mit mir vorhatte. Es war klar aus seinem Telefonat, dass er mich für einen Vogel hält. Ich weiß es nicht. Er dachte vielleicht, dass ich es nicht verstehe oder ich höre nicht zu? Vielleicht dachte er sich, dass ich einfach nichts kapiere. Eins ist aber eindeutig; der eine Dollar war eine symbolische Summe, um das Vertrauen zu zeigen. Deswegen hat er es schließlich sein lassen. Nun Schluss, vergiss es!
Ich befinde mich in San Francisco, auf der Straße und die Sonne ist heute wunderbar. Ich fühle mich wohl in meiner Haut unter meiner kurzen Hose.
Nachmittag um Vier stelle ich mich an der Kirchenküche in der Ellis Street an. Das
Abendbrot wird gleich
ausgeteilt. Die Schlange beginnt am Eingang des Gebäude, geht der Frontseite entlang bis zum Hof, dort biegt sie nach rechts, rennt an der Hausmauer entlang bis zum Ende des Hofes, dort macht sie einen U-Bogen nach links und kommt wieder auf der anderen Seite auf die Straße hinaus. Es sind bestimmt zweihundert Leute vor mir und nach mir kommen auch noch welche. Trotzdem habe ich meine Würstchen und Reis mit Gemüsebeilage schon in eineinhalb Stunden in der Hand. Dazu ein schwaches Getränk, was sie hier Kaffee nennen.
Ich dachte, hierher kommen nur die verlorenen Seelen, aber da habe ich mich gewaltig geirrt. Beim Schlangenstehen ist mir aufgefallen, dass nur wenige von den völlig ausgebrannten Typen da herumstanden. Sie können wirklich so dastehen, als würden sie an irgendwelchen unsichtbaren Drähten, uninteressiert mit hängenden Armen so dahängen, dass ihre Sohlen dabei gerade mal bis zum Boden reichte. Lumpige Klamotten, leere Augen.
Hinter so eine m Mann steht ein tadelloser Weißer Angestellten-Typ und wartet mit Geduld. Er ist sorgfältig in einen eleganten, dunkelblauen Anzug, mit hellblauem Hemd und Bordeaux Krawatte gekleidet. Das Ganze ist mit einem Aktenkoffer abgerundet. Seine gepflegten Hände und die, bestimmt mit Aufwand, in goldgelbe Wellen geleckten Haare verraten, dass...
Ach i ch weiß nicht. Ich verstehe es nicht, was dieser sportliche Gentleman hier sucht. Aber ich rieche sein Parfüm bis hierher, obwohl zwischen uns noch diese zwei lustigen Schwarzen Jungs stehen, die die ganze Zeit miteinander rumblödeln und ungehemmt lachen. Ein Mann, mit Wulstlippe und Brille, hinter mir ist in seinen Gedanken versunken und nimmt davon keine Kenntnis. Er sieht aus wie ein Lehrer, der seine Klasse von heute noch mal durch den Kopf gehen lässt. Hinter ihm kichert ein junges Pärchen, sie klatschen sich gegenseitig auf die Ärsche und springen auseinander, dann schmiegen sie sich zusammen.
„Au, beiß mir nicht ins Ohr!“ wiehert das Mädchen und die blonden Schöpfe springen wieder auseinander. Sie kneifen und necken sich unbekümmert.
Das scheint hier das gewöhnliche Stillleben mit Schlangestehen zu sein. Eine attraktive Frau in einem Kostüm verschwindet gerade um die Ecke. Sie lassen zwanzig-dreißig Leute in einem Schub hinein. Das bewegt die Schlange ein Stück nach vorn, dann stopp! Wir warten auf den nächsten Schub.
Als ich endlich drin sitze, realisiere ich, dass die verkeimte, struppige Frau mit den behaarten Beinen und rissigen Fersen in den Stöckelschuhen, die eine bunte Taillenbluse und blaue Bermudashorts trägt, und unweit vor mir in der Schlange stand, keine Frau ist. Es ist ein ungepflegter, aber auf seine Frauenallüren viel gebender Mann. Nun sehe ich ihn nicht nur von hinten. Er sitzt mir gegenüber an dem langen Tisch.
In der anderen Ecke des Saales entdecke ich einen von den jungen Hobos von gestern Abend. Wir winken mit Freude einander zu. Wobei er verstohlen auf meinen homosexuellen Tischnachbar zeigt, dann auf mich und stößt eine Eins mit seinem Daumen, als Anerken nung in die Luft, als ob er sagen wolle: „Oh, ich gratuliere! Du hast eine hübsche Braut!“
Ich zeige ihm mit einer feine n Bewegung: „So ist es mein Freund. Wer hat, der hat. Siehst du? Mir geht es blendend.“
Sein aufbrechendes Lachen stößt den Reis aus der Speiseröhre auf, und er kämpft mit beiden Händen vor dem Mund, um es nicht gleich auf den Tisch zu würfeln. Seine Tischnac hbarn sind gleichgültig, aber sie
Weitere Kostenlose Bücher