Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
ich viehisch müde bin, übermüde. Aber ich kann mich noch beherrschen und mime statt Aggressivität, das Schlafen so echt, dass ich bei seinem monoton flüsternden Gemurmel fast richtig einnicke.
Als die Metro dann endlich ankommt, steige ich natürlich in einen anderen Wagen ein. Mit Schlafen spielt sich hier auch nicht viel ab: Der Wächter grüßt mich alle zwanzig Minuten mit seinem: „Runter mit den Beinen.“ So stehe ich schließlich früh morgens um Vier auf dem Times Square. Ich schaue mich a m Broadway und in der 42. Straße um, aber hier kann ich mich nirgendwo hinlegen. Ratten spielen überall im Müll. Weggeworfenes Papier, Glas, Lumpen, aus den Läden herausgekehrte Verpackungsmaterialien und Schrott warten auf die langsam heranrollende Müllabfuhr.
Links ist ein kleiner grüner Park, aber kaum steige ich die paar Treppen, die zu dem Parkweg führen empor, rennen mehrere Dutzend Ratten auseinander, jedoch nur bis zu einem Sicherheitsabstand von drei Schritten. Ich bleibe stehen; sie auch. Ich gehe auf sie zu; sie rennen wieder bis ich anhalte, dann starren sie mich an und warten auf den nächsten Zug. Ein tolles Spiel. Aber ich will schlafen!! So gebe ich es auf und mache einen Rückzi eher auf die Straße.
Als nächstes peile ich den Bryant Park an. Er sieht viel freundlicher aus, aber dort sitzen bewaffnete Polizisten und lassen nachts keinen in den Park, um die Nachtruhe der Ratten zu überwachen. Schließlich gibt mir der Eingang zum „Grand Central Terminal“ ein kurzes Asyl. Das Bahnhofsgebäude selbst ist mit schweren Gittern verschlossen, aber vor dem Gitter schlafen einige Leute auf ausgebreiteten Pappkartons. Ich finde auch einen und; traumlos ist mein kurzer Schlaf. Um Sechs öffnen sie den Bahnhof und wir Unausgeschlafenen stürmen, unseren Pappmüll hinterlassend, die Wartehalle. Ich versuche die Nacht vor den Polizisten versteckt auf einer abgelegenen Bank ein bisschen zu verlängern. Aber der
siebente Schlag
der großen Fassadenuhr des Bahnhofs findet mich schon mit einem warmen Tee und billigem Kuchen im Magen wieder auf der Straße. Ich schalte den Walkman ein, und schon bin ich in den Tönen meiner einzigen Kassette „Sounds of Cultures“ eingekapselt. Die Musik ist wunderschön. Afrikaner lassen den weißen Engel aus ihrer Seele de rartig weich in die harten Jazzrock-Rhythmen hineinschmelzen, dass meine Ghettoerlebnisse der durchstreiften Nacht sich zur klaren philosophischen Poesie verdichtet in meiner Seele niederschlagen. Menschen strömen in die Banken und Büros und ... und fegen mich fast weg. Die Straßen haben sich verwandelt. Sie haben keine weitere Funktion, als die zur Arbeit eilenden Massen von einer Stelle der Stadt zur anderen zu katapultieren; und die heutige Gehirnwäsche als Zeitungspapier getarnt, von Zeitungsverkäufern zusammengerollt in ihre Hände zu drücken. Die Musik umarmt mich und reißt mich aus der Menge. Ich bin in Afrika, am Ufer des Nigers und genieße die mit Trompetensoli gespickten Wasserwogen, die mit massiver Bass- und Trommelbegleitung in Stereowellen um meinen Kopf wallen und die Straßen von New York City überfluten. Ein sanftes Flötensolo gibt dann den letzten Tropfen und die ganze unausgeschlafene Anstrengung der letzten Nacht fließt an meinen Wangen herunter. Ich fühle mich glücklich. Merkwürdigerweise ist meine Müdigkeit davon, als hätten meine Tränen alles aus mir herausgespült. Ich platze plötzlich vor Aktivität.
Okay, dachte ich, dann ist heute Kultu rtag! Ab ins
Metropolitan Museum!
Ich sitze auf einer Bank im Bryant Park. Als ich losgehen will, spricht mich ein Schwarzer Bursche mit freundlichem Gesicht in schwarzer Hose, mit schwarzem Hemd und schwarzer Baseballmütze an, ob ich „Stoff“ brauche, er hätte gerade feine Ware.
„Danke, ich möc hte nicht ... aber, wenn Du einen Moment Zeit hättest, um mich aufzuklären, wäre ich dir dankbar. Wenn Du mich in deinen Jargon einweihen würdest ... Ich weiß, was Hash und Coke bedeutet, aber warum sagt Ihr Dealer zu Marihuana immer ‘Sense’?“ Er lacht mich ganz freundlich an:
„Du denkst wohl, dass ‘Sense’ vom Fühlen kommt; ach nein, ‘Sense’ ist die Kurzform von Sensemillian, das beste Marihuana, das aus Mexiko kommt.“ Er kennt keine Hemmungen und weiht mich in die Geheimnisse seines Gewerbes ein. Aber nicht so wie einen Fremden, sondern vielmehr wie einen „Stift“ (Lehrling) oder sogar neuen Kollegen, als würde ein Schlosser einem
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