Kellerwelt
hatte zwar das
Gefühl, diese Wege schon ewig zu kennen, doch er nahm an, sie erst mit dem
letzten Download aus dem Sichtgerät erhalten zu haben.
Sicher, seine Zielpersonen
hätten einen Hinterhalt organisieren können, doch das wäre schwierig geworden.
Er nahm an, die Zielpersonen hatten alle Hände voll zu tun, um sich gegen
Schützen und Klingen zu wehren und dabei auch noch den Explosionen
auszuweichen. Dennoch war er zögerlich vorgegangen und hatte seinen
Zielpersonen einen noch größeren Vorsprung verschafft.
Er passierte einen Durchgang
im Stacheldraht jenseits des Dorfes. Nur noch ein Stück, dann erreichte er den
Ausgang - selbstverständlich exakt gegenüber der Eingangstür, wie es in allen
Todeszonen der Fall war. Dann konnte er die Jagd in den Korridoren fortsetzen.
Eventuell würde wieder ein Download fällig werden.
Ihm graute bereits jetzt vor
den Schmerzen. Der letzte Download war kritisch gewesen. Als er wieder erwacht
war, hatte er sich gefühlt, als sei er in eine Schrottpresse geraten. Er hatte
sich eine blutige Träne aus dem Augenwinkel wischen müssen. Außerdem hatte er
sein AKS-74U vergessen. Als er dies bemerkt hatte, war er schon ein ganzes
Stück von der Siedlung entfernt gewesen. Zu weit, um noch einmal umzukehren und
die Waffe wieder einzusammeln. Möglicherweise geriet sein Gehirn allmählich an
die Grenzen seines Fassungsvermögens. Doch das würde er ausloten, falls er
tatsächlich nicht mehr weiter wusste. Und als Waffe blieb ihm immerhin noch der
Revolver mit sechs Schuss Munition, der hinten in seinem Gürtel steckte.
Dann sah er die Leiche.
Anfangs wollte er nicht
glauben, was er da im Nebel erblickte. In der Regel wurden Leichen sofort
beseitigt. Die Mechanismen, die dafür verantwortlich waren, kannte er nicht,
doch er wusste, dass sie existierten.
Hier lag jedoch eine Klinge
mitten im Weg. Und ein Stück weiter noch eine. Und noch eine. Dann lag da eine
Remington Ninja- Gun mit aufgeklapptem Verschluss auf
dem Boden. Er hob die Waffe auf und kontrollierte den Ladestand. Leer.
Er ließ die Pumpgun wieder fallen und schlich geduckt vorwärts. Hier
hatte jemand gewütet, der kein Bestandteil der Kriegszone war. Dem frischen
Blut nach zu urteilen, hatte das Massaker erst vor kurzer Zeit stattgefunden.
Dann entdeckte er noch einen
Schemen im Nebel. Anfangs hielt er ihn für eine weitere Leiche, doch dann
bewegte sich die Gestalt. Als er einen Schritt näher trat und erkannte, was er
da vor sich hatte, erstarrte er.
Das Kind.
Da lag dieses verdammte
Kind!
Der Anblick jagte eine Serie
von Bildern und unangenehmen Gefühlen durch seinen Kopf. Er erinnerte sich an
Kinder, viele Kinder. Sie wollten seine Autorität als Entsorger nicht
anerkennen. Sie beantworteten seine Fragen nicht. Stattdessen schrien diese
Bälger und lachten ihn aus. Er musste andere Saiten aufziehen und diese Bälger
disziplinieren. Er musste sie bestrafen. Kleine Dissidenten. Ihre Väter hätten
ihn verstanden, wären sie in der Nähe gewesen.
Doch dann hatte eines der
Kinder auf ihn geschossen. An diesem Punkt wurden seine Erinnerungen diffus und
er vertraute ihnen nicht mehr. Wie hatte ein Kind auf ihn schießen können? Wie
war eine Schusswaffe in einen Kinderhort gelangt?
Nun, er hatte das Kind
gefunden. Die Antwort auf seine offenen Fragen blutete direkt vor ihm den Boden
voll. Nun konnte er beenden, was er irgendwann in einem anderen Leben
angefangen hatte.
Nun konnte er sich
revanchieren.
Er versetzte dem Körper
einen Tritt und rollte ihn damit auf den Rücken. Als er das Gesicht des Kindes
sah, klappte sein Unterkiefer herunter. Dieser Körper mochte nicht größer sein
als der eines Kindes, doch er gehörte einem Erwachsenen. Einem Mann! Deswegen
hatten sich die Teile in seinen Gedanken nicht zu einem Gesamtbild zusammenfügen
wollen: Er hatte mit einem Kind gerechnet, jedoch einen Mann verfolgt. Einen
Zwergen. Einen Unrat im Miniaturformat. Und das Gesicht dieses Zwergen drückte
genau das aus, was ein Entsorger von einem Dissidenten erwartete: Hass,
Niedertracht und Gemeinheit.
Er musste sich beeilen, wenn
er dieses Wesen noch entsorgen wollte. Das Blut strömte aus vielen Schnitten im
Körper des Zwergs und versickerte im Dreck. Die Klingen hatten ihren Angriff
auf diesen kleinen Unrat zwar mit dem Leben bezahlt, doch sie hatten ihr Ziel
mehr als einmal gefunden. Genug Treffer, um diesen Zwergen in die Knie zu
zwingen.
Der Zwerg blinzelte, sah ihn
an und hustete. „Oh Mist",
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