Kells Legende: Roman (German Edition)
hatte eigentlich ein paar Seitenhiebe von Saark erwartet, so etwa in der Art, dass seine Suppe die wässrige Konsistenz von alter Ziegenpisse hätte. Aber Saark hatte geschwiegen und vor sich hin gebrütet. Seit ihrem Kampf auf der Straße hatte sich Saark in sich zurückgezogen, in sein Schneckenhaus, und obwohl etwas in Kell diese Veränderung guthieß, vermisste ein anderer Teil, den er noch nicht kannte, diese Wortgeplänkel. Es durchfuhr Kell wie ein Schock, als er erkannte, dass er diesen Dandy tatsächlich mochte. Obwohl er ums Verrecken nicht hätte sagen können, warum.
Nienna und Kat erkundeten die Schlafquartiere und machten sich auf die Suche nach zusätzlichen Decken. Sie fanden welche, die etwas klamm waren, und legten sie zum Trocknen auf die Erde vor dem Kamin. Dann durchsuchten sie die Schränke und Schubladen am Ende der Schutzhütte.
»Hör zu«, erklärte Kell und starrte Saark über den Tisch hinweg an. »Ich … ich wollte mich entschuldigen, noch einmal. Für das, was in der Schänke passiert ist. Es bereitet mir Kopfzerbrechen, mein Junge. Das hätte nicht passieren sollen. Und ich schäme mich für das, was ich getan habe.«
»Mach dir keine Gedanken darüber.«
»Doch«, widersprach Kell. »Ich fühle mich mies deswegen. Und es war auch nicht nur dein Fehler. Mag sein, dass alles anders gekommen wäre, wenn ich, wie ich es eigentlich vorhatte, nur Bier getrunken hätte. Aber wenn ich Whisky trinke, vernebelt mir das mein Hirn. Und es verwandelt mich in den bösen Mann aus dem Gedicht.« Er lächelte ironisch. »Ja, ich meine die letzte Strophe, die sie niemals rezitieren, damit sie meine Legende nicht beschmutzen kann. Ha!« Er drehte sich um und starrte eine Weile ins Feuer. Dann streckte er seine Hand über die Tischplatte. »Nimm meine Hand.«
»Warum? Willst du mir aus der Hand lesen?«
»Nein, ich will deine Finger zerquetschen, Idiot. Nimm jetzt endlich meine verdammte Hand.«
Saark packte die Hand des grauhaarigen Kriegers und spürte die Kraft, die darin lag. Er blickte in Kells Augen und schluckte. Auch dort sah er Macht, wahre Macht, Charisma, Kraft und eine ehrfurchteinflößende Entschlossenheit.
»Das wird nie wieder passieren, Saark, das verspreche ich dir. Ich betrachte dich als meinen Freund. Du hast das Leben meiner Enkelin gerettet, und du hast auch sehr mutig für mich gekämpft. Solltest du jemals wieder sehen, dass ich eine Whiskyflasche auch nur anfasse, dann schlag mir die verfluchte Flasche über den Schädel. Ich werde es verstehen. Und … ich schulde dir etwas, mein Freund. Ich schulde dir mein Leben. Ich werde meines geben, um dich zu beschützen.«
Saark blinzelte, als Kell seine Hand losließ, und lehnte sich ein wenig zurück. Dann blinzelte er. »Du hättest mir auch einfach eine Kusshand zuwerfen können.«
»Werd jetzt nur nicht vorlaut.«
»Oder mir Blumen schicken.«
»Ich mag dich ja nicht umbringen wollen«, knurrte Kell, »aber ich werde dir den Hintern versohlen, so viel ist mal klar. Und jetzt sei ein guter Junge und such ein paar Kerzen. Draußen wird es dunkel, und es ist irgendwie unheimlich, solange Schnitter, Canker und diese verfluchten Albino-Mistkerle durch die Gegend schleichen.«
»Aber Kerzen werden die Schrecken der Nacht nicht aufhalten können, mein Freund.«
»Das weiß ich selbst! Geh einfach los und besorg welche.«
Während Saark in einem alten Schrank wühlte, ging die Tür der Schutzhütte auf und das Licht des Kamins fiel auf drei Gestalten. Sie blieben einen Augenblick in der offenen Tür stehen und musterten den Raum. Dann traten sie ein, gefolgt von vier anderen Flüchtlingen, wahrscheinlich Leute, die einem Gemetzel in einem Dorf in der Nähe entkommen waren.
Kell stand auf und nahm seine Axt in die Hand. Dann starrte er die Neuankömmlinge an. Die Dorfbewohner beachtete er nicht weiter, denn sie waren ganz offensichtlich zerlumpte Flüchtlinge und halb tot vor Kälte. Aber die ersten drei – das waren Krieger, Vagabunden und sehr, sehr gefährlich. Kell sah es an dem Funkeln in ihren Augen, der behutsamen Art, wie sie sich bewegten, und auch dem zynischen Ausdruck auf ihren müden, versteinerten Gesichtern.
»Wir haben euer Feuer gesehen«, sagte einer der Neuankömmlinge und trat vor. Es war eine Frau; sie war groß, sogar noch größer als Kell, hatte schlanke, sehnige Arme und Beine und lange, spitz zulaufende Finger. Die Fingernägel ihrer rechten Hand waren schwarz vom häufigen Gebrauch des langen
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