Kells Legende: Roman (German Edition)
Schwarzspitz-Massiv geschafft, das weiß ich. Ich habe mit einem alten Soldaten geredet, der schwört, dass er mit dir dort gewesen ist. Er sagte, du würdest all die geheimen Wege kennen, die versteckten Pässe; und auch Wege an dem tödlichen Tieflied-Tal vorbei, der Wand von Kraktos und dem Drachenpass. Also …«, sie holte tief Luft. »Ich muss dort hin; ich muss über die Hohen Pässe. Ich muss es unbedingt erreichen …«
»Was musst du erreichen?« Kells Stimme klang unglaublich leise.
»Das versteckte Tal«, hauchte Myriam und sah Kell direkt in die Augen. »Silvatal.«
»Und was willst du dort tun?«
»Du siehst ja, was mit mir passiert«, erwiderte Myriam, in deren Augen Tränen glänzten. »In den letzten zwei Jahren bin ich ständig schwächer geworden. Ich habe total abgenommen und leide schreckliche Schmerzen, in den Seiten, den Hüften, im Kopf. Ich habe ein Vermögen in Gold auf fette Ärzte in Vohr verschwendet; sie haben mir gesagt, dass ich Tumore hätte, parasitäre Wucherungen in meinem Körper, jede etwa von der Größe einer Faust. Diese Ärzte sagten, ich würde innerhalb eines Jahres sterben, und dass ich nichts dagegen tun könnte … Sie sollen verflucht sein! Und jetzt, drei Jahre später, bin ich immer noch da, suche immer noch nach einem Heilmittel. Aber manchmal, Kell, manchmal sind die Schmerzen so groß, dass ich wünschte, ich wäre tot.« Sie hustete erneut, hielt sich die Hand vor den Mund, drehte sich um und starrte in die Nacht hinaus, auf die dunklen Bäume. Schnee peitschte, getrieben vom Wind, durch die Luft. Kell konnte das Eis riechen.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte er, als ihr Anfall vorübergegangen war.
»Du meinst, was ich in Silvatal tun würde? Sie haben da … Maschinen. Maschinen, die mich heilen können.«
»Aber sie würden dich auch verändern«, erwiderte Kell. »Ich habe die Ergebnisse dieser Experimente gesehen. Sie waren alles andere als überzeugend.«
Myriam stand jetzt dichter bei ihm, war zu ihm gegangen, so dass Kell den Moschusduft ihres Körpers riechen konnte. Dann schmiegte sie sich an ihn, und er empfand etwas, das er schon sehr lange nicht mehr empfunden hatte; eine Lust, die aus tiefstem Grund in ihm hochstieg, aus einem Teil von ihm, den er schon lange aufgrund seines Alters verschwunden gewähnt hatte. Das letzte Mal, dass er etwas Ähnliches gespürt hatte, war schon sehr lange her. Vielleicht zu lange.
Kells Augen glänzten, und er leckte sich die Lippen, die ebenfalls schimmerten. Dann kontrollierte er seinen Atem.
»Ich würde es dir vergelten. Ich würde alles tun, um weiterzuleben«, sagte sie. Ihr hageres Gesicht näherte sich bis auf wenige Zentimeter dem von Kell. Sie hob die Arme über seine Schultern und lehnte ihren Oberkörper gegen seinen; ihre kleinen Brüste waren fest, und die harten Knospen pressten sich gegen seine Brust.
»Du verstehst nicht«, sagte Kell leise, während er unbewusst ihre Hüften umschlang. »Man nennt sie Vachine. Sie würden dich verändern. Sie würden … alles in dir töten, was menschlich ist. Ich glaube, es wäre besser, so zu sterben, wie du bist, als die Erniedrigung ihres Uhrwerks ertragen zu müssen.«
Myriam schwieg eine Weile und weinte.
»Es tut mir leid«, sagte Kell, »aber die Antwort lautet Nein.«
Myriam küsste ihn.
In der Schutzhütte lehnte sich Saark gelassen zurück und beobachtete die beiden Männer mit unverhüllter Abneigung. Sie waren genau das Gegenteil von Saark; während er wunderschön war, waren sie hässlich; wo er geschmeidig war, waren sie unbeholfen. Er kleidete sich vornehm, Styx und Jex dagegen kamen daher wie Vogelscheuchen.
»Kann ich euch etwas zu trinken bringen?«, fragte Kat und trat zu den beiden Männern.
»Du kannst dich auf meinen Schoß setzen, meine Hübsche«, erklärte Jex und grinste, woraufhin sich seine Tätowierungen seltsam verzerrten.
»Oh, nein, ich wollte einfach nur …«
»Sie ist mit mir zusammen«, erklärte Saark. Seine Augen waren kalt.
»Ist das so, du Geck?« Jex lächelte Saark an, und der wusste in diesem Moment, dass ein Gewaltausbruch unausweichlich war. Diese Männer waren gefährliche, brutale Gesetzlose. Sie kannten keine Regeln, keine Gesetze, und die Narben auf ihren Armen verrieten ihm, dass sie bereits beeindruckend lange Kämpfe und Kriege überlebt hatten. Sie mussten gut sein, trotz ihres wilden Aussehens und ihrer schmuddeligen Kleidung. Denn, wären sie nicht gut gewesen, wären sie schon
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