Kells Legende: Roman (German Edition)
kümmert dich das?« Ihre Stimme klang barsch, als ihre Verbitterung über den Tod ihres Vaters und ihr giftiger Zorn darüber, dass sie als Gefangene gehalten wurde, über ihre Lippen drang. »Du bist doch an all dem beteiligt, Vashell! Du hast wiederholt behauptet, dass du mich liebst. Du hast zweimal meinen Vater um das Geschenk der Vermählung mit mir gebeten. Und doch stehst du auf Seiten der Ingenieure, während sie mich hier eingesperrt halten.« Ihre Augen verdunkelten sich, und ihre Wut verwandelte das Gold, das in ihren Pupillen schimmerte, beinahe in glühendes Rot. »Und du hast geholfen, meine Schwester zu fangen.«
Vashell schluckte, und trotz seiner körperlichen Stärke und Überlegenheit trat er unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, mit Füßen, die in teuren, auf Hochglanz polierten Stiefeln steckten. »Shabis geht es gut, Anu. Das weißt du. Die Ingenieure kümmern sich um sie. Es geht ihr gut.«
»Sie ist ein junges Mädchen, Vashell, deren Vater gerade gestorben ist und deren Schwester gefangen gehalten wird. Wann kann ich sie sehen?«
»Es wird arrangiert.«
Anukis sprang von dem Fenstersitz herunter und ging zu Vashell. Sie blickte zu ihm hoch. Er war mehr als einen Kopf größer als die schlanke Frau, obwohl sie selbst fast einen Meter achtzig maß. »Das hast du bereits vor einer Woche gesagt!«, fauchte sie und starrte ihm in die Augen. Vashell wand sich unbehaglich unter ihrem Blick.
»Es ist nicht einfach, so etwas einzufädeln.«
»Du bist Ingenieurpriester! Du kannst alles tun, was dir beliebt!«
»So etwas nicht.« Seine Stimme sank plötzlich fast um eine Oktave. »Du hast ja keine Ahnung, was du da verlangst. Es gibt sehr viele Angehörige des Hochkonzils, die weit mächtiger sind als ich.« Er holte tief Luft. »Aber … ich tue, was ich kann. Das verspreche ich dir.«
»Schwörst du es bei deiner Blutöl-Seele?«
»Ja, ich schwöre es bei meiner ewigen Seele.«
Daraufhin kehrte Anukis ihm den Rücken zu und ging wieder zum Fenster. Sie ließ ihren Blick über die Stadt schweifen, aber deren Schönheit war jetzt für sie dahin, verwelkt. Hass durchfuhr sie, wie ein Tsunami aus Eis, der gegen einen gefrorenen vulkanischen Strand schlägt. Sie würde dafür sorgen, dass diese Stadt zerstört wurde. Sie würde dafür sorgen, dass Silvatal entvölkert und zu einer schrecklichen Einöde werden würde …
»Du bist hergekommen, um mich erneut zu fragen, richtig?«
»Ich kann dir helfen, Anu.«
»Indem du mich heiratest?«
»Ja! Als Frau eines Ingenieurpriesters bist du unantastbar. Die Ingenieure können dich dann nicht länger gefangen halten, denn dies würde gegen das Eichentestament verstoßen. Das weißt du genau.«
»Dennoch ziehe ich es vor, Nein zu sagen.«
Anukis spürte, wie Vashell sich versteifte, sie musste sich nicht umdrehen, um es zu sehen. Sie lächelte kalt. Das war das Einzige, was sie ihm verwehren konnte. Aber als er dann sprach, rann ihr Lächeln aus ihrem Gesicht wie Erz aus einem Schmelztiegel.
»Dann hör jetzt sehr genau zu, meine Schöne, was ich dir jetzt sage. Denn ich sage es nur einmal. Dein Vater wurde vom Patriarch der Häresie für schuldig befunden; ich weiß nicht, was ihm widerfahren ist, aber wir beide wissen, dass er tot ist, auch wenn wir seine Leiche niemals zu Gesicht bekommen haben. Die Ingenieure wollten sowohl deinen Tod als auch den deiner Schwester; ich bin alles, was zwischen euch beiden und dem ewigen Fegefeuer steht. Also, denk sorgfältig darüber nach, bevor du mir so leichtfertig antwortest. Denn wenn ich mich entscheide, dir meine Gunst zu entziehen, dürfte die Trennung von deiner Schwester die kleinste deiner Sorgen sein.«
Vashell stürmte aus dem Raum und schlug die Tür so heftig hinter sich zu, dass der prachtvoll geschnitzte Rahmen klapperte und Mörtel zwischen den Steinen herunterrieselte. Der Hall waberte durch das Treppenhaus.
Anukis erschauerte, drehte sich um und warf einen Blick auf das wundervoll geschnitzte Portal, bevor sie wieder auf die Stadt sah. Sie schüttelte sich erneut, und diesmal hatte ihr Frösteln nichts mit der Kälte zu tun. Über ihr tickte die Uhr ihres Vaters, und jede Sekunde, die verstrich, erinnerte sie an ein dahinschmelzendes Leben.
Anukis leckte sich über ihre eiskalten Lippen.
Sie dachte an Blut.
Und daran, was ihr versagt wurde.
Heute Nacht. Heute Nacht würde sie die Schwarzlippler besuchen.
Die Sonne stand tief über den Bergen und warf dunkelrote Schatten auf
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