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Kells Legende: Roman (German Edition)

Kells Legende: Roman (German Edition)

Titel: Kells Legende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Remic
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dass du mich besucht hast! Wie geht es deinem Vater?«
    »Vater ist tot«, erwiderte Anukis leise. Sie hielt den Blick auf den Boden gerichtet, damit, falls sich ihre Augen mit Tränen füllen sollten, niemand ausgerechnet hier ihre Schwäche bemerkte. »Ich glaube, die Ingenieure haben ihn ermordet.« Preyshan streckte die Hand aus, eine riesige Hand mit schwarzen Fingernägeln, legte sanft die Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf, damit sie ihn ansehen konnte. Als sich ihre Blicke begegneten, sprang ein Funke über und erzeugte eine innige Verbindung zwischen ihnen.
    »Wirklich, Anukis, das tut mir leid. Er war ein großer Mann.«
    »Jetzt ist er ein toter Mann.«
    »Du bist ihren Ränken entkommen?«
    »Vorläufig. Aber ich muss zurückkehren. Ich bin gekommen, um …« Sie sprach es nicht aus, konnte es nicht. Preyshan verstand sie trotzdem; immerhin waren die einzigen Vachine, die Preyshan und seine unterirdischen Büttel besuchten, jene, die das unreine benötigten, das illegale Karakan-Rot, hereingeschmuggelt aus den Ländern jenseits der Schwarzspitzen. Frisches Blut.
    Preyshan hob die Hand; er spürte Anukis’ Not. Ein Mann mit einem kleinen Messingzylinder trat vor. Er reichte ihn Anukis, die ihn anmutig entgegennahm und den Verschluss aufschraubte. Vorsichtig trank sie einen kleinen Teil des Inhalts, und das Rot glänzte auf ihren Lippen. Als Preyshan sie beobachtete, sah er, wie das rote Blut auf den winzigen, verlängerten Reißzähnen der weiblichen Vachine vor ihm leuchtete, und er bemerkte die Bewegung tief in ihrem Rachen; Rädchen surrten, winzige Zahnräder griffen ineinander, Gegengewichte tarierten sich aus, Zylinder rotierten und Kolben pumpten. Er lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln.
    Wie paradox, dachte der große Schwarzlippler, dass auf dieselbe Art und Weise, wie die Vachine sich von Menschen ernährten, durch eine ironische Wendung des Schicksals und der Wissenschaft Menschen sich von den Vachine ernährten und Schwarzlippler wurden. Eine pervertierte Symbiose? Ha! Er hätte die ganze Nacht über dieses Paradoxon diskutieren können.
    Anukis stieß erschöpft die Luft aus. Goldene Wolken wirbelten wie goldenes Öl in ihren Augen. Sie blickte hoch, rasch, als ihre Lethargie von der Energie vertrieben wurde, die sie erfüllte, so wie das Blut sie erfüllt hatte. »Ich brauche mehr davon«, sagte sie leise.
    Preyshan nickte. »Warum bleibst du nicht hier bei uns? Hier bist du sicher, Anu, das weißt du.«
    Einen Augenblick lang registrierte sie das Verlangen in den Augen des großen Mannes, aber dann war es wieder hinter einer perfekten Maske verschwunden; das Fallgitter war erneut herabgelassen worden. Anukis leckte sich die Lippen, schmeckte den letzten Rest von dem Rot und schluckte. Innerlich fühlte sie sich gefettet, geölt. Wiederhergestellt.
    »Das kann ich nicht. Die Ingenieure haben Shabis …«
    Preyshan nickte, nahm die Frau am Ellbogen und führte sie auf eine Seite der großen Kammer. Hier wehte der Wind aus den tiefen, unterirdischen Gängen des Berges, hier konnte man nicht belauscht werden. Preyshan lehnte sich gegen den Fels und verschränkte die Finger.
    »Wenn du bleibst, Anukis, werde ich Shabis für dich holen.«
    »Wie …?«
    Er hob die Hand und legte einen Finger auf ihre Lippen. »Ihr Vachine seid mächtig, das stimmt. Aber ihr wisst weder von meiner Herkunft noch von meiner Geschichte.« Seine Augen funkelten. »Ich habe keine Angst vor den Ingenieuren. Und ebenso wenig vor Vashell.«
    Anukis schüttelte den Kopf. »Wenn ich dir erlauben würde, das zu tun, würde ich euch alle in große Gefahr bringen. Deine ganze Welt …«
    »Das weiß ich. Wir alle wissen das. Unsere Existenz ist bestenfalls nur gefährdet. Aber dennoch …« Er berührte ihren Arm. »Du weißt, dass ich das für dich tun würde, und für deinen Vater, diesen großen Mann. Hauptsächlich jedoch … für dich.«
    »Das ist mir bewusst.« Anukis trat einen Schritt nach vorn, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf seine schwarzen, toten Lippen. »Du bist ein großer Mann, Preyshan. Ich kann mich glücklich schätzen, geliebt zu werden, von … von jemandem wie dir.«
    Preyshan öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann verengten sich seine Augen zu Schlitzen, und sein Blick glitt über Anukis’ Schulter.
    »Durchbruch!«, schrie jemand. Dem Schrei folgten ein metallisches Schaben und ein Knallen, als fünf Armbrüste ihre großen Bolzen abfeuerten. Drei Vachine,

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