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Kells Legende: Roman (German Edition)

Kells Legende: Roman (German Edition)

Titel: Kells Legende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Remic
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ließ sich hinab, kratzte sich die Haut an den Händen und Schienbeinen und am Bauch und half dann Nienna und Kat, die zerbröselnden Steine hinunterzuklettern. Er drehte sich um und musterte ein fernes Licht, während Saark fluchend neben ihm ins Wasser platschte.
    »Danke für die Hilfe!«, sagte er sarkastisch.
    »Ach, das war doch nicht der Rede wert.«
    »Verdammt! Sieh dir dieses Seidenhemd an! Das kriege ich nie wieder sauber. Weißt du eigentlich, wie viel so etwas kostet? Das ist feinste Handarbeit, gewebt von den Seidenspinnern von Vohr … So etwas trägt man an Leanorics Hof.«
    »Es gibt Wichtigeres als Seidenhemden, Saark.«
    »Sei nicht albern. Weißt du eigentlich, wie viele Frauen mir dieses Hemd erobert hat? Wie viele schlanke Finger bereits über diese Seide gestrichen haben? Dieses Hemd ist wie ein magischer Schlüssel. Erst schließt er das Herz auf; dann den Keuschheitsgürtel.«
    »Großvater, was ist ein Keuschheitsgürtel?«, drang Niennas Stimme aus der Dunkelheit.
    Kell warf Saark einen finsteren Blick zu. »Nichts Wichtiges. Hör diesem verwöhnten, mit Scheiße bespritzten Narren einfach nicht zu. Folge mir lieber. Wir müssen uns beeilen.«
    Sie rannten platschend durch das zähe, wirbelnde Abwasser, versuchten nicht daran zu denken, wie viel Eingeweide, Innereien, Farbe und Hundekot in dieser Brühe herumtrieben. Irgendwann stieß Nienna gegen eine tote Katze, die halb unter Wasser trieb, und schrie auf. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und würgte; ihr schmaler Körper verkrampfte sich vor Ekel, aber Kat tröstete sie. Sie umarmte sie, drückte sie an sich, während sie weiterwateten. Sie hatten keine Zeit, stehen zu bleiben, keine Zeit für Schwäche. Der Schnitter wartete möglicherweise bereits am anderen Ende des Tunnels.
    Der Gang war lang und senkte sich in mehreren Abschnitten zum Selenau hinab. Gelegentlich stießen sie auf vertikale Entlüftungsrohre, faustgroße Öffnungen, die durch Ziegel und Stein einen quälend verlockenden Blick auf die Außenwelt gewährten.
    Plötzlich schrie Kat auf und sank auf ein Knie. Die Brühe stieg ihr bis ans Kinn, und sie spuckte, hielt die Augen geschlossen und verzog das Gesicht vor Ekel. »Nienna!«, stieß sie klagend hervor, aber es war Kell, der zu ihr zurückging. Er schob Nienna weiter, in Saarks Richtung, der düstere Flüche ausstieß, das Gesicht mit Kot und Blut verschmiert. Der Gestank war noch stärker als Saarks Parfüm.
    »Was ist los?«, fuhr Kell Kat an.
    »Ich habe mir den Knöchel verstaucht.«
    »Kannst du gehen?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Geh oder stirb«, sagte Kell leise. Seine Augen funkelten.
    Kat zwang sich dazu, sich aufzurichten, zuckte zusammen und stützte sich schwer auf Kells Schulter, während sie Nienna und Saark folgten. Sie humpelte und war verblüfft über die kräftigen Muskeln des alten Mannes, die fast wie Eisen wirkten. Genauso erstaunt war sie von seiner eisigen Haltung.
    Hätte er mich einfach so zurückgelassen?, dachte sie.
    Der Held der Felder von Jangir?
    Der Schwarze Axtkämpfer von Drennach?
    Sie biss die Zähne zusammen, dachte an ihr Leben, an all die Bitternis, das Scheitern, an die Menschen, die verschwunden waren, und, was noch wichtiger war, an all jene, die zurückgekehrt waren. Selbstverständlich hätte er mich zurückgelassen, dachte sie, und ein besonders bitterer Stich zuckte durch ihr Herz. Er ist zurückgekommen, weil er nicht wollte, dass Nienna mir hilft. Wenn sie sich den Knöchel gebrochen, sie aufgehalten oder möglicherweise besonders viel Lärm gemacht hätte … Sie blickte hoch, auf seinen grauen Bart, seine breiten, kräftigen Schultern und das dicke Bärenfell, mit dem er mehr wie ein Tier denn wie ein Mensch aussah. Na ja, dachte sie. Sie war sich ziemlich sicher, dass sein langes Messer problemlos durch ihre Rippen gedrungen wäre und das Problem gelöst, jede Bedrohung im Keim erstickt hätte.
    Sie fröstelte, als ein kalter Wind um ihre Seele zu wehen schien.
    Zum ersten Mal sah sie Kell nicht als alten Mann, sondern als Killer.
    Saark war stehen geblieben und hob warnend die Hand. Dann drehte er sich um und sah Kell an. »Es ist der Fluss«, erklärte er.
    Kell nickte und drängte sich an die Spitze der kleinen Gruppe. Das Geräusch von rauschendem Wasser drang durch den Ausgang des Abwasserkanals zu ihnen, und Kell betrachtete eine ganze Weile den Lichtkreis, vor dem Eisrauch waberte. Dann trat er schließlich vor, packte seine Axt fester und warf einen

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