Kells Legende: Roman (German Edition)
gepresst, während der Schnitter an seiner eingeklemmten Hand zerrte. Dabei gab er ein leises, hohes Knurren von sich. Er hob ruckartig den Kopf, und der finstere Blick seiner schwarzen Augen richtete sich auf Kell, der in sein Wams griff und seinen Svian zückte. Dann sprang er vor und durchtrennte mit dem Dolch die Kehle des Schnitters. Die Klinge teilte weiße Haut, die sich so sauber teilte, wie sich das Fleisch eines Fisches von der schuppigen Haut löste. Aber es trat kein Blut aus, und der Schnitter schrie auch nicht, sondern versetzte Kell einen Hieb mit dem Handrücken, der ihn zurückschleuderte. Er rollte über die Plattform.
»Komm endlich ins Boot!«, schrie Saark. Die Strömung zerrte immer heftiger an dem Kahn, und das Eis brach mit lautem Knacken.
Kell rappelte sich hoch, das bärtige Gesicht gezeichnet von einer düsteren, kaum beherrschten Wut. Er beobachtete, wie der Schnitter seine Finger befreite. Das Holz splitterte, und Ilanna fiel mit einem Knall auf die hölzerne Plattform. Dann richtete sich der Schnitter auf und krümmte seine unversehrten Finger. Kell schluckte. Die Klinge der Axt hätte die Hand durchtrennen sollen; stattdessen jedoch waren keinerlei Wunden zu sehen. Sein Blick glitt zu der durchtrennten Kehle, aber das fischige Fleisch war bereits wieder zusammengewachsen. Auch hier war keine Narbe zu sehen!
Jetzt endlich war sich Kell sicher. Hier war düsterste Blutöl-Magie am Werke; er konnte diese Kreaturen nicht töten. Ilanna hatte recht gehabt, und diese Erkenntnis widerte ihn an.
Er rannte los, und der Schnitter griff ihn mit einem Fauchen an, stieß seine Finger nach Kells Herz. Doch der duckte sich, schlidderte über das vereiste Holz, unter den knochigen Fingern des Schnitters hinweg, um seine Axt zu packen. Dann richtete er sich auf und rannte so schnell er konnte zu dem Boot. Saark hatte den Kampf gegen die Strömung mittlerweile verloren, und der Kahn glitt bereits hinaus in den Kanal. Eis brach knackend, als er Anstalten machte, sich in die Strömung des rauschenden Flusses einzufädeln. Kell sprang vom Rand der Plattform ab und landete mit einem mächtigen Satz in dem Gefährt, das einen Augenblick lang wie verrückt schaukelte. Dann richtete er sich auf und starrte zu dem Schnitter zurück, während er seinen Svian wieder in der Scheide unter seinem linken Ärmel verstaute. Im nächsten Moment waren sie im dichter werdenden Nebel verschwunden.
»Gut gemacht«, meinte Saark und lächelte Kell freundlich an. »Wäre dieser Mistkerl ein Mensch gewesen, wäre er tot.«
»Ist er aber nicht«, knurrte Kell, ließ sich auf die Bank fallen und packte die Ruder des Bootes. »Und das finde ich schlichtweg zum Kotzen. Verschwinden wir aus dieser gottverlassenen Stadt. Sie flößt mir eine Heidenangst ein.«
General Graal ging voraus zu dem hohen Raum im Turm und bot Dagon Trelltongue dabei seinen breiten Rücken als nicht zu verfehlendes Ziel.
Dagon war groß und schlank, hatte schulterlanges graues Haar und kleine Augen; er trug feinste Seide und Wolle im Stil des Südens und war sich sehr deutlich des zierlichen Schwertes an seiner Taille bewusst, genauso wie des juwelenbesetzten Messers in der Scheide unter seinem Ärmel und des Giftes in der Phiole an seinem Gürtel. Er schluckte, aber sein Mund war wie ausgetrocknet. Er konnte Graal töten, ihm sein Schwert durch die Lungen rammen und zusehen, wie das Blut des Generals auf die prachtvollen Teppiche sickerte, über die sie gerade gingen. Dagon konnte die Eiserne Armee zurück nach Norden schicken, ohne Anführer, ohne Hoffnung, ohne Feuer; er konnte den bevorstehenden Krieg verhindern, seinen Freund und Herrn, König Leanoric retten, sowie letztlich auch das Volk von Falanor.
Dagon kniff die Augen zusammen. Diese Mistkerle!
Nein. Sie würden zahlen, sie würden leiden.
Verdammt sollten sie sein, sie alle.
Sie betraten eine große Kammer, die einmal einer der schönsten Ratssäle von Jalder gewesen war. Dicke Teppiche bedeckten die kalten Steine, die Wände waren verputzt und weiß gekalkt, und der ganze Raum war mit dunklem Holz dekoriert, in das Gold eingelassen war. Kunstwerke hingen in regelmäßigen Abständen überall in der Kammer; allerdings waren sie dezent, fielen nicht weiter auf. Zwischen den Tischen und steinernen Podesten, auf denen etliche Helden von Falanor präsentiert wurden, standen gemütliche Sofas. Dagon war bereits häufiger hier gewesen, für gewöhnlich im Auftrag von König Leanoric. Im
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