Kells Legende: Roman (German Edition)
Skorpion.
»Das hoffe ich doch sehr«, sagte Graal und deutete auf eine Stelle, wo Mary von einem Albino-Soldaten festgehalten wurde. Sie war gefesselt und geknebelt und hatte ihre Augen weit aufgerissen. Sie hatte alles mit angesehen. Graal lächelte, ein perverses Lächeln voller Boshaftigkeit. »Sie wird in der Nähe von Leanorics Lager freigelassen werden. Das dürfte einige interessante … Ergebnisse zeitigen, denke ich doch.«
»Was habt Ihr vor?«, zischte Alloria.
Ein Schwert wurde gegen ihre Kehle gepresst, und sie wimmerte. Graal beugte sich vor. Er küsste sie auf die Lippen, leidenschaftlich, voller Liebe. Sie hatte zu viel Angst, auszuweichen. Sie konnte immer noch seinen warmen Samen in sich fühlen, und es beschämte sie, dass sie Angst vor ihm empfand; aber es bereitete ihr Schuldgefühle, dass sie die kalte Dunkelheit des Todes noch mehr fürchtete.
»Ich lege eine Fährte«, sagte er und machte eine Handbewegung. Mary, die kleine, süße Zofe, die sich so aufopfernd um Alloria gekümmert hatte, wurde an ihren Haaren aus dem Raum gezerrt. Ihr Gesicht war blutüberströmt, ebenso ihre Brüste und ihr Schoß. Man hatte sie nicht besonders gut behandelt.
»Er wird Euch töten!«, zischte Alloria. »Er wird Euch alle töten!«
»Das werden wir bald feststellen«, antwortete Graal und versetzte ihr einen heftigen Schlag. Sie wurde auf das Bett zurückgeschleudert und fiel von dort aus auf den Boden. Die Dunkelheit übermannte sie, und dann erinnerte sie sich an nichts mehr.
8
IM FORST DER STEINLÖWEN
Der Canker setzte heulend zum Sprung an, und die Mädchen duckten sich voller Furcht. Als er landete, blinzelten sie verwirrt … Sie waren gar nicht das Ziel der Bestie gewesen. Einer der Waldläufer war noch am Leben und stöhnte leise. Er hob sein Schwert, rollte sich mühsam herum und schnarrte beim Anblick des Cankers wütend. Die Bestie bückte sich vollkommen unvermittelt und biss ihm den Kopf ab, wobei das laute Knirschen von Knochen zu hören war.
Kat wühlte in den abgefallenen Kiefernnadeln, grub ihre Finger in den darunter liegenden Humus, während der Canker den Leichnam mit lautem Knacken und Schmatzen verschlang. Er riss lange Streifen von Fleisch heraus, bis nur noch Fetzen von Haut und feucht schimmerndem Fleisch an den weißen Knochen baumelten. Dann schlang die Bestie auch die letzten Brocken gierig hinunter.
Die beiden Mädchen hockten auf dem Waldboden und beobachteten den Canker. Nienna zitterte am ganzen Körper, als sie den ein oder anderen Gegenstand in ihrer Nähe aufraffte. Während sie so dabei waren, sich notdürftig in herumliegende Lumpen zu kleiden, die sie dort fanden, trat Kat auf einen trockenen Ast, der mit einem lauten Knacken brach. Der Canker hob den Schädel von seinem Festmahl. Die riesigen, aufgerissenen Kiefer der Bestie waren blutverschmiert, und blutige Speichelfäden hingen von seinen schiefen Zähnen herunter. Plötzlich gwahrte Nienna, dass dies eine andere Kreatur war als die an der Kate. Das Maul von dem Exemplar hier war kleiner, irgendwie schiefer, saß weiter nach links versetzt, und die Zähne wirkten wie geschwärzte Stumpen aus Stahl, die das Fleisch eher zermalmten als es zu zerteilen. Außerdem war die Kreatur schlanker, weniger bullig als der erste Canker, den sie gesehen hatten. Nienna schrak zusammen, als ihr Blick auf Brüste fiel, kleine, runde Brüste, die zwischen den stummelartigen Vorderbeinen herunterhingen; die Knospen schimmerten wie blankes Eisen, der Brusthof war wie aus Kupfer, und durch die bestürzend dünne Haut sah sie, wie winzige Kolben und Rädchen in diesen Brüsten arbeiteten.
Dieser Canker war also ein Weibchen, aber irgendwie machte das diese Kreatur für Nienna noch tausendmal schrecklicher. Es war eine Sache, ein Monster vor sich zu haben, aber was, wenn dieses Monstrum auch noch aus einer zuvor menschlichen Hülle konstruiert worden war? Es war einfach unvorstellbar, dass jemand durch eine Reihe von wahnsinnigen Entscheidungen, falschen Entscheidungen oder aus blindem Zufall so enden konnte … so wie diese Kreatur da.
»Bei allen Göttern!«, zischte sie. Der Canker legte den Kopf auf die Seite und blickte Nienna und Kat an, als sähe er sie zum ersten Mal. Seine winzigen, goldgesprenkelten Augen verengten sich, und er hob den Kopf und brüllte etwas in die Nacht hinaus, etwas, das fast wie ein Schmerzensschrei klang …
Nienna und Kat warteten nicht darauf, ob sich diese Bestie letztlich entscheiden würde,
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