Kells Legende: Roman (German Edition)
feindlichen Streitkräfte angeht, ihre genauen Stellungen. Hat dieser Graal schwere Kavallerie zur Verfügung, Speerträger oder Bogenschützen? Sind seine Leute diszipliniert? Haben sie Belagerungsmaschinen bei sich?«
»Wir haben nur sehr wenig Zeit, Elias. Wenn wir nicht sofort reagieren, dann ist es zu spät, das garantiere ich dir. Dieser Graal ist wie eine Schlange; er schlägt hart und schnell zu und macht keine Gefangenen. Wir haben ihn nicht einmal kommen sehen. Das ist eine perfekt geplante Invasion.«
»Trotzdem rate ich dazu, Kundschafter mit deinen Plänen auszuschicken. Drei zu jedem Lager und jeder auf einer anderen Strecke, falls irgendein Kundschafter abgefangen wird. Wir können die Nachrichten verschlüsseln und suchen uns harte Männer für die Erledigung dieser Aufgabe. Außerdem gebe ich unseren Spionen den Auftrag, Corleth Moor auszukundschaften; wir können über Brieftauben mit ihnen kommunizieren. Ich unterhalte ein Netzwerk von zuverlässigen Leuten dort im Norden.«
Leanoric nickte. »Mit etwas mehr an Informationen und Zeit können wir sie immer noch umzingeln. Trotzdem, ich glaube Mary nur halb! Wer würde einen solchen Wahnsinn riskieren? Wer würde es wagen, den Zorn meiner ganzen Armee auf sich zu ziehen?« Leanoric hatte zwanzigtausend Männer zu seiner Verfügung, was ihn vermutlich zu dem mächtigsten Kriegsfürsten der vier Bergwelten machte.
Elias dachte über ihren Plan nach, rieb sich das unrasierte Kinn und verzog vor Konzentration das Gesicht. Er analysierte verschiedene Herangehensweisen, zog unterschiedliche Bewertungen in Betracht; er begriff, dass Leanorics Worte durchaus Sinn machten, sehr viel sogar. Aber trotzdem war ihm nicht wohl dabei. Er hatte das Gefühl, als hätten sie es mit einem wankelmütigen Verbündeten zu tun, einem hinterhältigen Geliebten, einem gehörnten Ehemann, einem Freund, der hinter seinem Rücken in seiner zitternden Faust ein Messer hielt.
»Wir müssen Folgendes in Betracht ziehen«, sagte Elias, dessen Stimme so ruhig klang wie immer. Während er sprach, legte er die Hand auf den Griff seines Schwertes, eine Waffe, die noch kein anderer lebender Mann jemals berührt hatte. »Dieser General Graal ist kein Narr. Und doch marschiert er durch halb Falanor, um die Königin zu entführen – warum? Was gewinnt er dadurch?«
»Er will mich dazu bringen, ihn zu verfolgen.«
Elias nickte. »Sehr gut möglich. Entweder will er, dass du ihn jagst, oder er will dein Selbstbewusstsein untergraben. Vielleicht sogar beides. Und doch hat er bereits, jedenfalls glauben wir das, zwei größere Städte erobert, die beide durchaus kampftüchtige Garnisonen besaßen. Entweder hat er also eine mächtige Streitmacht zur Verfügung, mit der zu rechnen ist, oder aber …«
»Er benutzt Blutöl-Magie«, beendete Leanoric sichtlich unbehaglich den Satz.
»Ja. Du musst dir diesbezüglich Rat einholen.«
»Wir haben nur sehr wenig Zeit. Wenn ich nicht augenblicklich die Adlerdivisionen aushebe, gelingt es uns vielleicht nicht, ihn zu umzingeln. Das bedeutet, wir wären gezwungen, zurückzuweichen …« Er dachte rasch nach. »Und zwar bis nach Alt-Skulkra. Das wäre ein ideales Schlachtfeld. Und ich habe … eine Taktik im Ärmel, von der mein Vater einmal gesprochen hat, vor Jahrzehnten.«
»Aber falls dieser Graal die alte Magie benutzt, wird dein Plan trotzdem nicht funktionieren«, erklärte Elias. »Weißt du, woran ich denke?«
»Ja. An den Grabräuber«, antwortete Leanoric, in dessen Stimme sich ein furchtsamer Unterton geschlichen hatte. »Ich fürchte, dass er mich umbringt, sobald er mich sieht.«
»Ich werde zu ihm gehen«, sagte Elias.
»Nein, für dich habe ich eine andere Aufgabe.«
Elias hob fragend die Brauen, sagte jedoch nichts. Er wusste, dass sein König schon reden würde, wenn ihm danach war.
Leanoric spitzte die Lippen, hob die Hände ans Gesicht, legte die Finger aneinander und drückte sie gegen das Kinn. Dann seufzte er. Es war ein trauriger Seufzer, ein Seufzer von jemandem, der ratlos war. Er sprach, sah seinem Freund jedoch nicht in die Augen.
»Um was ich dich jetzt bitte, Elias, kann ich eigentlich nicht von dir verlangen.«
»Du hast jedes Recht, alles von mir zu verlangen. Du bist der König.«
»Nein. Das hier ist eine rein persönliche Angelegenheit. Lassen wir für einen Moment Rang und Adel außer Acht, nur einen Moment. Um was ich dich bitten möchte, bedeutet … deinen beinahe sicheren Tod. Aber trotzdem muss
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