Kells Legende: Roman (German Edition)
wie eine Persiflage auf Verfall und Tod.
Elias schritt steifbeinig weiter, sein Entsetzen wuchs, sein Hass glühte heißer, seine Wut und sein Zorn stiegen bei dem Anblick, der sich ihm bot, zu einer weißglühenden Hitze. Er wusste, er wusste es, ohne dass er die Mechanismen der Blutöl-Magie wirklich begriff, dass dies das Ergebnis dieser schwarzen Hexerei war, der uralten Kunst.
»Mistkerle.« Er schüttelte den Kopf, als er auf die geschrumpften Hüllen von Kindern hinabblickte, die sich noch im Tod an der Hand hielten – gestorben, einfach so. Ohne Sinn, ohne Ehre, ohne Würde … Elias starrte sie an, fluchte und spie schließlich angewidert aus.
»Ist es das, was General Graal für uns bereithält?«, murmelte er, während er über diese Armee aus Eisen und ihren weißhaarigen General nachdachte.
Plötzlich ertönte ein lauter Schrei vom anderen Ende der Straße her. Elias brauchte einen Moment, um sich von seiner Verblüffung zu erholen und zu begreifen, dass es sein Pferd war, das da gewiehert hatte. Er drehte sich um und rannte los, rutschte über das Eis, als er um zwei Katen bog, deren Türen so billig waren, dass sie kaum einem Kind den Zutritt verwehrt hätten.
Sein Hengst stand mitten auf der Straße und zitterte, so als hätte er einen epileptischen Anfall. Nebel waberte knöchelhoch auf dem Weg, und Elias näherte sich dem Tier misstrauisch und vorsichtig und hielt angestrengt Ausschau nach Anzeichen eines Feindes. War das Pferd von einem Pfeil getroffen worden? Oder ging es um etwas Bedrohlicheres? Er schämte sich, als er feststellte, dass ihm die Hände zitterten.
»Ein wunderschönes Tier.« Die Stimme klang leise, melodisch, gelassen und doch … irgendwie verrückt, jedenfalls in Elias’ Ohren. »Eine Schande, dass diese Quelle so armselig ist, giftig, du verstehst, aus Sicht der Raffinierung. Ansonsten bräuchten wir euch gar nicht zu ernten.«
Elias wirbelte herum, sein Schwert zuckte hoch. Er sah eine große Kreatur in dünnen, weißen Gewändern, die sehr elegant mit Gold und Blau bestickt waren. Doch das Gesicht der Kreatur trieb ihm einen Schauer über den Rücken; die Haare in seinem Nacken stellten sich auf und knisterten wie dünnes Eis auf einem tiefen Weiher. Das Gesicht war flach, oval, haarlos und unglaublich bleich. Kleine schwarze Augen beobachteten Elias mit einem, wie er dachte, intelligenten Blick. Die Nase jedoch bestand aus kaum mehr als Schlitzen in der bleichen Haut. Die Kreatur, denn es handelte sich auf keinen Fall um einen Menschen, atmete schnell und zischend; erneut erschauerte Elias, als sie plötzlich auf ihn zuging. Sie schwabbelte fast, während sie ging, ein Anblick, der komisch gewirkt hätte, hätte die Gestalt nicht diese unverkennbare Aura von Tod ausgestrahlt und den Gestank von Fäulnis, der die Kreatur und ihre Umgebung vollkommen zu durchdringen schien …
»Was bist du?«, stieß Elias atemlos hervor. Seine Worte waren ein kaum vernehmliches Flüstern.
Die Kreatur näherte sich mit einem seltsam federnden Gang. »Ich bin ein Schnitter, mein Junge. Und du bist Elias.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß vieles«, erwiderte der Schnitter und hob seine Hand. Der Ärmel seiner Robe glitt zurück und enthüllte lange, knochige Finger. »Ich weiß, dass du der Freund von König Leanoric bist. Ich weiß, dass du seine Königin suchst, Alloria, die von dem boshaften Uhrwerker Graal entführt wurde … aber alles zu seiner Zeit, mein Sohn, alles zu seiner Zeit. Denn du bist erstklassiges Futter, hab ich recht? Und außerdem besitzt du Informationen, die unserer Sache möglicherweise dienlich sein können. Also komm, komm zu mir …«
Elias griff an, aber noch während er sich bewegte, fegte eine Wolke aus Eisrauch aus dem Schnitter, aus seinen winzigen schwarzen Augen, seinem offenen Mund, aus seinen Fingern und seinem Innersten. Sie traf Elias, warf ihn im Nu zu Boden; sein Schwert war an seinen Fingern festgefroren, sein Körper verkrampfte sich zuckend, und das mit einer Heftigkeit, die er niemals für möglich gehalten hätte …
»Zuerst einmal nehmen wir dir dein hübsches Spielzeug weg«, sagte der Schnitter und trat näher; Elias sah zu, wie die Haut von seinen Fingern gezogen wurde und nichts weiter zurückblieb als Knochen und ein paar Streifen von baumelndem rosafarbenem Fleisch. Während Elias in einem Abgrund aus Entsetzen und Unglauben, Schmerzen und unerträglicher Qual versank, hörte er den Schnitter reden, während er arbeitete.
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