Kells Rache: Roman (German Edition)
durchlief Kell kalt. Jetzt und hier blickte er in den Schlund des Todes. Und er hatte Angst.
»Graal hat mich geschickt«, erwiderte der Canker. Seine Stimme war eine seltsame Mischung aus Mensch, Tier und … Maschine. Eine Uhrwerk-Stimme. Eine Stimme, in der das Tick-Tack hochentwickelter Uhrwerkskunst mitschwang. Sein riesiger, räudiger Schädel war dem eines Löwen sehr ähnlich und doch gleichzeitig vollkommen pervertiert, bestialisch und deformiert. Er hatte ihn auf eine beinahe menschliche Art und Weise schief gelegt. Ein Schauer von Mitgefühl durchrieselte Kell. Er wusste es. Er wusste, dass diese Kreaturen einst menschlich gewesen waren. Und es machte ihm nicht den geringsten Spaß, sie abzuschlachten. »Ich bin ein Bote«, fuhr der Canker fort.
»Dann spuck deine Nachricht aus und verschwinde!«, fuhr Kell ihn an. Er hatte die Stirn gerunzelt, und sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt, einem Schmerz, der nichts mit Alter oder Arthritis zu tun hatte, sondern eher mit dem Zustand von Falanor, mit der Invasionsarmee der Albinos und dem Missbrauch der Menschlichkeit durch das sich rasch ausbreitende Imperium der Vachine, dessen er gerade wieder Zeuge wurde.
»Er will mit euch sprechen. Er will, dass ihr mit mir zu ihm zurückkehrt.«
Kell grinste. »Er macht sich Sorgen, hab ich recht? Der große Graal, General aus alter Zeit … er macht sich Sorgen wegen eines alten Kriegers mit eitriger Schuppenflechte und Trunksucht. Na gut, ich habe einmal gesagt, dass ich meinen Namen auf seinen Hintern ritzen würde, wenn wir uns noch einmal treffen. Dieses Versprechen gilt immer noch.«
»Er braucht eure Hilfe«, erwiderte der Canker. Seine Stimme klang wie ein tiefes Rumpeln. »Von euch beiden.«
Kell dachte darüber nach. »Ich wette, es ist ihm verdammt schwergefallen, das zuzugeben.« Er rieb sich den Bart. »Und wenn wir Nein sagen?«
»Ihr kommt mit mir. So oder so.« Die Stimme war einen Hauch davon entfernt, drohend zu klingen. Und dennoch war es eine Drohung.
Kell trat vor, rollte den Kopf von einer Seite auf die andere und hob Ilanna vom Boden hoch. Töte es, flüsterte die blutgebundene Axt in seinem Verstand. Töte es, trinke sein Blut, lass mich fressen. Dir bedeutet es nichts. Es ist nur eine Deformation des Reinen.
Kell ignorierte Ilannas innere Stimme, Saarks dagegen konnte er nicht ignorieren. Der Dandy war nah, stand unmittelbar hinter Kell. Seine Stimme drang leise in Kells Ohr. »Wir können den Canker erledigen, Bruder. Nach allem, was wir durchgemacht haben, kannst du nicht zulassen, dass Graal uns herumkommandiert. Er hat uns diesen besonderen Boten geschickt, und dafür muss es einen Grund geben. Ich wette, es hat etwas damit zu tun, dass du im Schwarzspitz-Massiv Vachine gejagt hast!«
»Dieser Vermutung würde ich mich anschließen«, antwortete Kell und griff dann so schnell an, dass seine Bewegungen nur schemenhaft zu erkennen waren. Saark taumelte zurück, den Mund geöffnet vor Schreck und Ehrfurcht, als Kells Axt nach dem Kopf des Cankers schlug. Die Bestie jedoch bewegte sich ebenfalls, ebenfalls mit unmenschlicher Geschwindigkeit, Uhrwerkschnelligkeit. Sie knurrte, fiel auf eine Schulter, und die Axtklinge verfehlte ihre Visage nur um Zentimeter. Sie rasierte der Bestie Büschel von grauem Fell ab, die lange in der Luft schwebten. Dann rollte sich der Canker seitwärts ab und entging nur um Zentimeter einem Bad im Öl. Gleich darauf griff er Kell an und schlug mit den gewaltigen Tatzen und den gebogenen Krallen nach seiner Kehle. Doch Kell trat rasch zur Seite, wehrte mit der Axt die Krallen ab und hämmerte der Bestie seine rechte Faust gegen den Schädel. Er schlug noch einmal zu, mit aller Kraft, und ein Reißzahn brach unter seinen behandschuhten Knöcheln. Der Canker trat mit den Hinterbeinen zu, Kell jedoch sprang zurück. Die Bestie setzte nach, doch Ilanna zischte haarscharf vor ihrem Gesicht vorbei und unterband den Angriff. Die beiden umkreisten sich wachsam mitten zwischen den schimmernden Becken aus Öl. Saark war bis zum Rand eines der Becken zurückgewichen, hockte neben der blakenden Laterne, das Rapier in seiner Faust. Die Augen hatte er weit aufgerissen, sich sehr wohl bewusst, dass er in einem Zweikampf nichts gegen einen Canker ausrichten konnte. Aber er war bereit, sich in den Kampf zu stürzen, um Kell zu helfen, sobald sich eine Gelegenheit bot. Da! Er sprang plötzlich vor, und die rasiermesserscharfe Klinge seines Rapiers zog eine blutige Spur über
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