Kells Rache: Roman (German Edition)
in einem solchen Wetter draußen herumzutreiben.«
»Besser, wenn du dich daran gewöhnst. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.«
»Also, was willst du?«
Jetzt endlich sah Myriam ihn an. »Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Wegen dieser Geschichte in Falanor, als ich …«
»Als du mich Bekanntschaft mit deinem Dolch hast machen lassen? Du Miststück!«
»Ja, ich war eines. Ich wurde von Hass getrieben, von einem wilden Verlangen, einer Lust nach Leben. Das hat mich irrational handeln lassen, unberechenbar gemacht. Und, wie ich zugeben muss, auch ein bisschen … verrückt.« Sie holte tief Luft und blickte über die schiefen Zinnen der Festung. »Ich möchte es wiedergutmachen. Ich wollte dir sagen, dass es mir leidtut. Das ist alles.«
»Kell bringt dich ins Silvatal. Wir sind nur deinetwegen hier.«
Myriam schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht erklären, aber ihr seid aus einem bedeutenderen Grund hier. Das hat mir die Magie gezeigt. Sie hat es mir gesagt, es mir offenbart.«
Saarks Augen waren hart. »Mich legst du nicht mit deinen billigen Tricks herein, Miststück. Ich habe in meinem Leben schon eine ganze Menge Trickbetrüger erlebt, und meiner Erfahrung nach ist das Einzige, was sie haben wollen, Silber oder Gold. Verblüffenderweise beruht dieser zusammengeraffte Wohlstand immer auf irgendeinem ›bedeutenderen Grund‹. Verrückt, findest du nicht?«
»Glaub, was du willst, aber Kell glaubt mir, und das ist zu unser aller Wohl.«
»Ja, dieser alte Bock ist ein stinkender Narr.«
»Ich wiederhole es noch einmal: Es tut mir leid. Du kannst es wohlwollend zur Kenntnis nehmen und einräumen, dass ich mich möglicherweise verändert habe. Bizarrerweise hat die Zeit, die ich mit Nienna verbracht habe … sagen wir, sie hat meine Weltsicht ein wenig verändert. Das Mädchen hat mich berührt und verändert. Und weil ich mich verändert habe, fließt die Magie tiefer durch meine Adern. Dadurch, dass ich meinen Hass geopfert und von meiner Wut zurückgetreten bin, sehe ich jetzt klarer.«
»Gut für dich, Weib! Was willst du? Einen dicken, feuchten Kuss?«
»Spar dir deinen Zynismus!«, fuhr sie ihn an. Er sah, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Saark biss sich auf die Lippe und spielte mit dem Gedanken, zu ihr zu treten, sie in die Arme zu nehmen, sie an sich zu drücken, ihr zu sagen, dass er ihr diesen hinterlistigen Stich im Wald verziehen hatte. Aber dann änderte er seine Meinung. Sie war ein Chamäleon. Sie wollte vor allem sich selbst retten. Er glaubte nicht, dass sie sich verändert hatte, sondern dass sie nach wie vor auf Kosten ihrer kleinen Gruppe ihren Vorteil suchte.
»Ha! Ich gehe wieder ins Bett. Heb dir deine tränenreichen Geschichten für Kell auf. Er steht auf sterbende Frauen.«
»Und du, Saark? Was ist dir wichtig?«
Saark grinste böse, während die aufgehende Wintersonne den Horizont erglühen ließ. »Ich? Mein schwacher Punkt bin ich selbst.«
»Aha, dann sind wir uns also gleich?«
Saark starrte Myriam an, während die Wahrheit ihrer Worte ihn durchdrang. Er wollte etwas sagen, schloss den Mund dann jedoch wieder. Sie hatte recht. Sie waren sich tatsächlich ähnlich. Saark benutzte Menschen für seine Zwecke. Das hatte er schon immer getan und würde es auch immer tun. Er war eitel, selbstverliebt und vollkommen darauf versessen, sein eigenes Vergnügen zu bekommen und zu leben. Mist, dachte er. Was für ein Mist! Hätte er in Myriams Lage denn genauso gehandelt? Hätte er jemanden erstochen, einen anderen vergiftet, um sie zu zwingen, ihm zu helfen? Er wusste, tief in seinem zerrissenen Herzen, das s er es wahrscheinlich getan hätte.
Als die Scham ihn überkam, drehte er sich um und ging zu seiner kalten Bettstatt zurück. Das Hämmern des wuchernden Blutöls in seinen Adern hallte bis in seine Seele.
Kurz nach Tagesanbruch folgten sie einem schmalen Gang durch die Festung, der sich zwischen den hoch aufragenden, düsteren Mauern durchschlängelte, die nicht nur Kälte, Düsternis und Verlassenheit ausstrahlten, sondern auch eine tief in ihnen ruhende Furcht. Sie schien ein Teil dieser schon so lange aufgegebenen Festung zu sein. Hier waren nicht nur Kreaturen gestorben, sondern es fühlte sich an, als wären ihre Seelen in die Steine gesogen worden, als hätten sie sie verzerrt, sie herausgerissen.
Kell ging voran, führte sein nervöses Pferd am Zügel, während Nienna im Sattel saß. Er wollte sie nicht mehr aus den Augen lassen. Niemand
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