Kells Rache: Roman (German Edition)
… ich wollte mich entschuldigen, Mädchen. Wegen der Art und Weise, wie ich dich behandelt habe, und wie ich ihn behandelt habe. Ich war einfach unglaublich egoistisch.«
Nienna zuckte mit den Schultern. »Ich verstehe nur nicht, warum wir immer noch hier sind. Warum wir diesen beschwerlichen Weg durch die Berge überhaupt machen. Ich dachte, er würde dich verlassen, nachdem du ihm das Gegengift gegeben hast; ehrlich gesagt hatte ich sogar erwartet, dass er dich in Stücke hacken würde.« Sie lächelte, ein schwaches, kaltes Lächeln, und ihre Augen funkelten.
Myriam seufzte. »Ich habe … wirklich schlimme Dinge getan, Nienna. Das gebe ich zu. Und ich verdiene Kells Hass. Und auch deinen.«
»Ich hasse dich gar nicht«, erwiderte Nienna und lächelte ebenfalls freundlich. »Ich sehe, dass du Schmerzen hast, und verstehe deine Qualen. Ich bedauere dich, Myriam, aber ich hasse dich nicht.«
Myriams Augen verdunkelten sich. »Ja, Mädchen, manchmal ist Mitleid noch schlimmer.«
Kell war stehen geblieben. Die hohen, stummen Mauern warfen lange Schatten in den schmalen Pass. An etlichen Stellen tropfte Wasser über den Fels oder rauschte in kleinen Wasserfällen hinab. An anderen war es gefroren, zu merkwürdig geformten Eiszapfen oder manchmal sogar zu gewaltigen, herabhängenden Schleiern. Gelegentlich polterten Steine die steilen, mit Eisenerzadern durchsetzten Flanken dieser Schlucht in der Gebirgskette herab.
»Wir müssen sehr vorsichtig weitergehen«, erklärte Kell. »Im Laufe der Jahre hat es hier sehr viele Steinlawinen gegeben. Jedes laute Geräusch könnte dazu führen, dass uns die Schwarzspitzen auf die verdammten Köpfe herunterprasseln. Haben das alle kapiert?«
»Allerdings«, meinte Saark nickend und rieb Marys Maul.
Und weiter ging es, einen felsigen Hang hinab. »Kell«, meinte Saark schließlich, »ich habe eine Frage.«
»Hoffentlich geht es nicht um Frauen«, knurrte der Krieger.
»Nein. Diesmal nicht. Ich habe mich einfach nur gefragt, warum wir überhaupt weitergehen.«
»Aha. Dann denk mal nach.«
»Wegen Myriam?«
»Nein, Dummkopf. Wegen der beiden Vachine, die Graal uns auf den Hals gehetzt hat, damit sie uns umbringen. Ich habe über die beiden nachgedacht, sehr viel sogar. Graal ist in Falanor eingefallen und hat die ganze verdammte Armee von Leanoric zerschmettert. Und was ist dann passiert? Wir sind durch sein Lager gestolpert, wie zwei blinde Männer durch ein Bordell taumeln, und durch irgendein verdammtes Wunder ist es uns gelungen zu entkommen. Was hätte Graal danach tun sollen? Seine Expansion im Interesse der Blutölgewinnung für die Vachine fortsetzen? Oder aber beträchtliche Mühe und Zeit aufwenden, um uns Mörder hinterherzuschicken? Eben. Warum also hat er dann Letzteres getan? Warum will er so unbedingt unser habhaft werden? Er wusste, dass wir nach Norden unterwegs waren. Warum also hat er zwei seiner fähigsten Mörder für die Suche nach uns verschwendet? Ganz gewiss hatte er doch weit größere Fische an der Angel, die er braten musste.«
Saark dachte darüber nach. »Er kannte deine Geschichte, Kell. Er wusste, dass du als Vachine-Jäger für den alten Kriegskönig gearbeitet hast.«
»Ganz genau. Aber das sollte ihm eigentlich kein Kopfzerbreche n bereiten. Was könnte ich denn noch im schlimms ten Fall anrichten? Ein bisschen Vachine-Abschaum in den Bergen erledigen? Das dürfte wohl kaum seine Kriegsstrategie und seine Invasion bedrohen, findest du nicht auch?«
»Worauf willst du hinaus?«
»Graal weiß, dass ich nach Norden gehe. Und er weiß auch, dass ich die Schwarzspitzen kenne. Vielleicht, und das ist nur so ein Gedanke, vielleicht glaubt er ja auch, dass ich nach Silvatal will. In das Heimatland der Vachine. Aber ich würde doch in derselben Minute, in der ich einen Fuß dorthin setzte, abgeschlachtet werden, oder etwa nicht?«
»Also glaubst du, Graal will verhindern, dass du Silvatal findest?«
Kell nickte. »Ja. Er glaubt, dass ich etwas weiß, was ich aber gar nicht weiß. Dahinter steckt irgendein großes Myst erium, ein Rätsel, das wir lösen müssen. Ich glaube, dass Graal nicht für die Vachine arbeitet. Ich denke eher, dass er sein eigenes Spiel spielt; ich vermute, dass dieser hinterhältige Mistkerl seine eigenen stinkenden Pläne durchzieht. Aber welche sind das? Was führt er wohl eigentlich im Schilde? Und warum glaubt er, dass ich diese Pläne gefährden könnte?«
»Ich verstehe, was du meinst. Und jetzt ist mir auch
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