Kells Rache: Roman (German Edition)
einatmete. Auf diesem Bergplateau herrschte eine merkwürdige Windstille, und Kell deutete mit Ilanna auf einen hohen, vereisten Bergkamm.
»Der Wolfsgrat«, sagte er schlicht.
»Sieht gefährlich aus«, knurrte Saark.
»Ist er auch«, erwiderte Kell düster. »Wir müssen sehr vorsichtig sein.« Er strich Nienna durch ihr langes, dunkles Haar. »Vor allem du, Äffchen.« Nienna antwortete jedoch nicht. Sie betrachtete staunend den Kamm, den sie überqueren wollten.
Der Wolfsgrat. Er war etwa anderthalb Meilen lang, ein schmaler, welliger Bergkamm, höchstens einen halben Meter breit, wenn überhaupt, neben dem rechts und links Abgründe lauern, die tausend Meter tief abfielen, wenn nicht noch mehr. Der Pfad selbst wirkte wie ein umgekehrtes »V« aus Fels, schwarz, rutschig und von Eis gesäumt.
Kell ging voraus, über das leicht geschwungene Plateau aus Schnee, auf dem seine Stiefel knirschten. Es war vollkommen windstill, ruhig und kalt. Das helle Licht wurde vom weißen Schnee reflektiert und brannte schmerzhaft in ihren Augen.
Saark ging neben ihm. »Wir sind für dieses Abenteuer bemerkenswert schlecht ausgerüstet«, erklärte er.
»Glaubst du, das wäre mir nicht klar, Jungchen?«
»Ich wollte es nur erwähnt haben.«
»Versuch einfach, nicht runterzufallen, ja?«
»Verlass dich darauf, dass ich in diesem Punkt mein Bestes geben werde.«
Sie blieben stehen, wo sich das Bergplateau erhob und zum Wolfsgrat verengte. In der Ferne, durch neblige, tief hängende Wolken sahen sie den nächsten Gipfel, den nächsten Schwarzspitz, der mit dieser Stelle durch diesen wahnsinnigen Grat aus tückischem, vereistem Fels verbunden war.
»Gibt es einen anderen Weg?«, flüsterte Saark.
»Nein. Die nächsten fünf Gipfel sind unmöglich zu erklimmen, und dieser Grat hebt und senkt sich zwar, verbindet jedoch all die Gipfel miteinander. Ohne ihn gäbe es keinen Weg nach Silvatal. Die Berge bilden eine natürliche Schutzbarriere. Mitten im Winter ist dieser Ort unpassierbar, außer natürlich für die vollkommen Verrückten.«
»Ha! Ich nehme an, du willst mir damit sagen, dass du es trotzdem gewagt hast?«
»Das habe ich allerdings.« Kells Stimme klang leise. »Aber ich hatte Seile dabei, Eisdornen unter meinen Stiefeln und vernünftige Eisäxte.«
»Glaubst du, dass wir es jetzt schaffen können?«
»Das werden wir sehr bald herausfinden, Saark. Es gibt keinen Weg zurück. Und außerdem möchte ich, dass du vorausgehst.«
»Ich?« Die Stimme des Dandys quietschte, und seine Furcht war spürbar. »Warum gehst du nicht voraus? Du hast doch Erfahrung. Was weiß ich schon? Ich trinke nur Wein und vögele verwöhnte, etwas pummelige Schönheiten. Das hier ist nicht mein Terrain, Kell, mein Alter. Das hier ist mir ebenso fremd, als würde ich zwischen den Sternen herumpaddeln.«
»Ich muss die Nachhut bilden«, erklärte Kell.
»Und warum?«
»Für den Fall, dass diese elenden Canker uns einholen.«
»Oh. Ja. Ein … guter Grund.«
Kell betrachtete den Grat. Dann blickte er zurück auf das flache Plateau. Es erstreckte sich, so weit das Auge blickte, und versank dann in der Finsternis scheinbar endloser Täler und wilder Berghänge. Dahinter sah er Falanor. Das Land lag ihnen zu Füßen, er sah seine Berge und fernen Täler, seine gefrorenen Flüsse und schneebedeckten Wälder. Hier, das wusste er, hier war der Punkt, wo Falanor zurückblieb, von den Bergen gefressen wurde. Hier war der Punkt, von dem keine Umkehr mehr möglich war.
Er erinnerte sich an die Zeit in den Schwarzspitzen, in der er Vachine gejagt hatte.
»Verdammt«, sagte er, und sein Blick streifte über die Welt. Alles war klar, ruhig und unerträglich blendend. Fast so, als hätten die Götter die Welt in Pastellfarben gemalt. Kell betrachtete Falanor und hatte das Gefühl, als würde Falanor zurückstarren. Hilf mir, bat das Land. Reinige mic h. Mach mich stolz.
»Ich komme wieder«, knurrte Kell, drehte Falanor den Rücken zu und machte sich an den Aufstieg auf den Wolfsgrat.
»Da kommen sie!«
Niennas Stimme klang schrill vor Panik. Kell drehte sich um und blickte über den welligen Grat zurück. Tatsächlich. Sie suchten sich vorsichtig den Weg über das schmale Band aus Stein. Die Wolken waren herabgesunken, und der Nebel hüllte die kleine Gruppe ein, erstickte die Geräusche und verdeckte zumindest eine Weile die atemberaubenden Abgründe rechts und links neben dem Grat.
Kell zückte Ilanna und blieb stehen. Er hörte das
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