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Kells Rache: Roman (German Edition)

Kells Rache: Roman (German Edition)

Titel: Kells Rache: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Remic
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einen Nebel sah. Ein Traum, durch Glasscherben betrachtet. Kradek-ka packte Anukis an der Kehle und drückte sie zu Boden. Sie schrie und kämpfte, aber die Schnitter halfen ihm. Ihre langen, knochigen Finger durchbohrten ihre Haut. Die Messingnadel war sehr lang, und an ihrer Spitze schimmerte ein Tropfen einer gelben Flüssigkeit, ein Tropfen von süßem, ach so süßem Honig. Kradek-kas Gesicht war von animalischem Hass verzerrt, als er die Nadel in Anukis’ Hals bohrte. Ihr Widerstand erlahmte und hörte schließlich ganz auf. Sie schien plötzlich die ganze Szenerie von einem Punkt außerhalb ihres Körpers zu beobachten, sie fühlte sich gut, warm, und schließlich verblassten die Erinnerungen, und alles in der Welt schien gemütlich und freundlich und einfach nur richtig zu sein.
    Es hatte Tage der Vorbereitung gekostet, aber schließlich war Anukis kräftiger geworden, ruhiger, von noch mehr Liebe zu ihrem Vater erfüllt. Er versuchte doch nur, die Vachine stark zu machen, ihre Zivilisation schneller zu entwickeln; er strebte nach etwas sehr Edlem. Und wenn er eine neue Technologie entwickelte, würde man sie wieder im Silvatal akzeptieren, sie wäre nicht länger eine Blutöl-Unreine, wäre nicht länger ausgestoßen. Sie konnte ihr altes Leben weiterführen. Mit Kradek-ka, ihrem Vater, an ihrer Seite.
    Jetzt reisten sie durch uralte Bergtunnel. Die Wände ware n aus reinstem Weiß; beim Anblick der Schnitter, die Anukis und Kradek-ka begleiteten – vielleicht dreißig an der Zahl –, fröstelte es sie. Es bereitete ihr Unbehagen, wenn sie hinter ihr auftauchten, merkwürdig lächelten, ihre langen K nochenfinger ausstreckten und kleine weiße Kugeln in de n Händen hielten, die mit einem matten, wie fiebernd schimmernden Licht den Weg ausleuchteten.
    Kradek-ka ging voran, meist dicht gefolgt von Anukis. Gelegentlich lächelte er sie an, seine älteste Tochter, seine besondere Tochter. Ihr Verstand wurde ein wenig schwammig, wenn sie versuchte sich zu erinnern, warum sie überhaupt hier war. Die goldene Flüssigkeit, welche die Schnitter ihr morgens und abends gaben, schien ihre Sinne zu dämpfen und ließ die ganze Welt wie wunderschönes Kerzenlicht flackern. Gleichzeitig verwirrte es sie. Es war alles höchst befremdlich.
    »Du bist ein wahrhaft entzückender Anblick«, sagte Kradek-ka, der sich an ihren Kampf erinnerte, ihren Widerstand, ihre Feindseligkeit. Doch letztlich waren alle Emotionen mit einer kleinen Infusion von Drogen leicht zu kontrollieren. So wie alle körperlichen Aspekte mit einer kleinen Ver mischung mit Uhrwerk ebenso einfach zu beherrschen waren .
    Und weiter ging es durch endlose Gänge. Manchmal waren die Wände glatt und leicht geschwungen, die Tunnel breit und der Boden gepflastert, als würden sie von großen Armeen oder gar von Königen genutzt. Dann wiederum waren sie eckig, die weißen Fliesen glänzten und wirkten ein bisschen schief. Es war seltsam sie anzusehen – als ob sie versuchten, einen zu verwirren. Dann wiederum gingen sie durch grob gehauenen Stein, der manchmal trocken schien wie Wüstensand, dann wiederum glatt von Wasser oder überzogen von einem klaren, zähen Schleim. Zwei Dinge jedoch waren immer gleich: Die Wände waren immer weiß, und der Weg führte immer leicht nach oben.
    Sie stiegen. Sie stiegen stundenlang.
    Gelegentlich kamen sie an einem Ruheraum mit niedrigen Decken vorbei, in denen Betten standen. Kradek-ka erlaubte Anukis zu schlafen, damit sie wieder zu Kräften kam. Er selbst jedoch schlief nie, sondern stand am Fußende ihres Bettes, beobachtete sie, starrte sie an, bis sie in einer Welt der Träume versank, Träume von Schrecken und Blutvergießen, Träume, in denen sie des Nachts durch die Straßen von Silvatal schlich und Ingenieuren aus dem Weg ging, wenn sie heimlich die Schwarzlippler aufsuchte, um eine Flasche Karakan-Rot zu kaufen.
    Wenn sie aufwachte, war Kradek-ka da. Immer. Die Schnitter standen wie Geister im Hintergrund oder draußen in den Gängen, beobachteten, glitten umher, und ihre Absichten waren geheimnisvoll und unergründlich. Anukis fragte sich oft, ob Kradek-ka die ganze Nacht an ihrem Bett Wache stand oder ob er, wenn sie schlief, wegging und sich mit anderen Dingen beschäftigte. Sobald sie aufwachte, war er jedenfalls immer da. Früher einmal hätte sie das vielleicht unheimlich gefunden, jetzt jedoch tröstete es sie. Ihr Vater, der Uhrwerker, passte auf sie auf. Er sah alles und war allmächtig. Er war das

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