Kells Rache: Roman (German Edition)
die Schlacht zahllose Stunden, bis meine Soldaten sicher waren, dass die letzten von Kells Männern und er selbst kreischend und um Gnade flehend in die Feuer von Karrakesh geschleudert worden waren.«
»Dennoch hat er, scheint es, überlebt.«
»Ja, er hat überlebt«, erwiderte Graal verbittert. »Ich schwöre, dass dies derselbe Mann ist, obwohl ich in den Schwarzspitzen sein Gesicht niemals selbst gesehen habe.« Seine Stimme sank um eine Oktave. »Ich denke, einige meiner vertrauenswürdigen Soldaten waren nicht ganz ehrlich mit mir, was die Geschehnisse in diesen langen, dunklen Wochen unter dem Stein anging.«
»Vielleicht ist diese neue und höchst unglückliche Serie von Ereignissen nur eine Verkettung unglücklicher Umstände? Oder vielleicht versucht ein närrischer, arroganter Krieger Ruhm zu erlangen, indem er in die Schuhe eines anderen schlüpft?« Der Schnitter schien zu lächeln, obwohl der schmale Schlitz seines Mundes so etwas nahezu unmöglich machte. Außerdem waren Schnitter dafür berüchtigt, dass sie nicht den geringsten Sinn für Humor besaßen.
»So etwas wie … Zufälle gibt es nicht!«, fuhr Graal hoch. Er lächelte, ebenfalls humorlos. »Was ich beweisen werde.«
Er rief einen jungen Albino-Soldaten zu sich und schickte ihn auf die Suche nach Nesh, dem Anführer der Canker, die Kell und Saark in Alt Skulkra hatten aufspüren und zurückbringen sollen. Nesh war so gut zu kontrollieren, wie man es bei einer derartig unkontrollierbaren und chaotischen, pervertierten Spezies nur bewerkstelligen konnte.
Kurz darauf tauchte Nesh auf, grollend, den Mund weit aufgerissen. Die winzigen Augen der Bestie funkelten golden, als sie Graal beobachtete. Der Canker hockte sich hin; er stank nach Öl und heißem Metall. In seinem Inneren klickte sein Uhrwerk, gelegentlich pumpten irgendwelche Kolben. Nesh war ein Beispiel für einen Canker im besten Zustand, obwohl ein Canker, der auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung war, sich sowohl von allem Menschlichen als auch dem Uhrwerk, das ihn geschaffen hatte, entfernen musste. Und zwar in einem derartigen Maß, dass alles S chöne hässlich wurde, das Logische zur Parodie wurde. W ar ein Canker auf der Höhe seiner Entwicklung angelangt, war er nur Tage von seinem Tod entfernt.
»Ja?« Das Biest grunzte und sprach abgehackt, meist nur in kurzen Sätzen. Worte zu äußern verursachten dieser Kreatur, die fast drei Meter groß war, große Schmerzen. Dennoch achtete jeder Canker diese Gabe hoch, denn nicht alle seine Artgenossen konnten, beeinträchtigt durch ihr perverses Uhrwerk und ihre Reißzähne, reden.
Graal trat neben die Bestie und betrachtete die offenen Wunden, das verbogene, geschwärzte Uhrwerk, die krummen Zahnräder und Kolben. Er lächelte, freudlos. Für Graal waren diese Kreaturen Missgeburten, und das noch viel mehr als für jeden anderen Albino oder Vachine. Aber wie jeder ausgezeichnete Handwerker benutzte er seine Werkzeuge gut … mit der Präzision eines Uhrwerks. Ganz gleich, wie groß seine persönliche Abscheu auch sein mochte.
»Du bist Kells Geruch gefolgt? Und dem Gestank des verletzten Laffen?«
»Ja.«
»Und trotzdem … behauptest du, du hättest sie verloren. In dem Labyrinth von Straßen und Gassen?«
»Ja, General Graal. In Alt Skulkra gibt es viel finstere Magie. Vieles, das wir nicht verstehen. Viele Reste von … der Anderen Zeit.«
»Du lügst«, antwortete Graal.
Es folgte ein unbehagliches Schweigen, in dem die riesige, keuchende Bestie auf General Graal herunterblickte. Ihr Mund öffnete sich mit leisem, messingnem Klicken weiter, fast wie eine Ratsche, und der Blick der kleinen, hasserfüllten Augen richtete sich auf Graal, auf seine Kehle.
»Ich gehorche meinen Herren«, gab der Canker gedehnt zurück. »Nur dann bekomme ich das lebensnotwendige Blutöl.« Das Keuchen wurde lauter. Graal registrierte fast unterbewusst, dass die Klauen des Canker ausfuhren, lautlos, gut geölt, wie eingefettete Rasiermesser.
»Mein Bruder wurde ein Canker«, meinte Graal unbekümmert, während er von der riesigen Bestie zurücktrat. »Ich habe jahrelang versucht zu verhindern, dass es dazu kam, versucht, den unaufhaltsamen Fortschritt eines alles verzehrenden Verfalls aufzuhalten. Aber es gelang mir nicht. Ich konnte die Natur nicht aufhalten. Wir haben tagelang, nächtelang, ganze Wochen zusammengesessen und die Mö glichkeiten einer Umkehrung dieser Entwicklung besprochen, überlegt, ob wir ein neues Uhrwerk
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