Kells Rache: Roman (German Edition)
tief drinnen, bin ich einfach kein guter Mensch.« Und dann später, als Saark überzeugt war, dass Kell im Abgrund des Wahnsinns versank: »Sieh dir an, wie ich aussehe, Saark. Wie damals, in den Tagen des Blutes.«
Die Tage des Blutes. Die Zeit, in der eine ganze Armee Amok lief. Die Männer wären wahnsinnig geworden, sagte man. Sie töteten Männer, Frauen, Kinder, zündeten Häuser an, schlachteten das Vieh, verbrannten Menschen in ihren Betten und … Sie taten noch viel Schlimmeres. Sagte man jedenfalls. Davon sang man in den finsteren Liedern. Und Saark wusste, dass Kell nicht bösartig genug war, um ein Kind zu ermorden, von dem er glaubte, dass es ihn aufhielt; das dadurch verantwortlich für den Tod seiner Enkelin wäre, der einzigen Kreatur auf der Welt, die er wirklich liebte.
»Bockmist!«, knurrte er.
Saark humpelte hastig zu der verfallenen Kate zurück, wobei er seine Dummheit verwünschte und nervös an seiner Unterlippe kaute.
Saark stürmte durch die eingefallene Tür und richtete seinen Blick sofort auf das knisternde Kaminfeuer, das jetzt, nachdem er aus dem dämmrigen Wald hereingekommen war, heller zu leuchten schien. Von Kell war nichts zu sehen. Ebenso wenig von Skanda.
»Sohn einer Missgeburt von Maulesel!«, fuhr Saark hoch und hörte ein Grunzen. Er spähte in das dämmrige Innere der Kate, und die Dunkelheit nahm Formen an. Skanda saß da, fast verborgen in den Schatten, und rührte in dem Keramiktopf mit der Brühe.
»Geht es dir gut?«, erkundigte Skanda sich fast schläfrig.
»Ja, sicher!« Saark ging weiter in den Raum und setzte sich auf den Baumstamm. Er zog die Stiefel aus, streckte seine Füße aus und wärmte seine Zehen. »Wo ist Kell? Nein, sag es nicht. Das mürrische alte Wiesel ist wahrscheinlich zum Scheißen in den Wald gegangen.«
Skanda kicherte und wirkte zum ersten Mal so alt, wie er aussah. »Ich glaube, da könntest du recht haben.«
Saark sah ihn genauer an. »Jetzt mal im Ernst. Geht es dir wirklich gut, Junge? Da draußen habe ich eben für eine Minute die verrückte Idee gehabt, das Kell möglicherweise … na ja, dass er vielleicht …«
Skanda wirkte plötzlich so weise, als hätte er schon eine Ewigkeit gelebt. »Sagen wir«, flüsterte der Junge und starrte in die Flammen, »dass Kell die richtige Entscheidung getroffen hat.«
Es krachte, und Kell blickte Saark grinsend von der Tür aus an. »Dachte schon, du wärst da draußen verloren gegangen, Jungchen. Hast du mit den Bäumen geschmust? Oder im Dreck nach noch mehr Dreck gegraben? Oder hast du einfach nur böse Träume vom edlen und heroischen alten Kell gehabt, dem Helden der Legenden?« Kell grinste, und obwohl es in der verfallenen Kate nur wenig Licht gab, hätte Saark schwören können, dass sich auf Kells Miene keinerlei Humor zeigte.
»Einstweilen sind wir in Sicherheit«, erwiderte Saark. »Es ist weder etwas von Cankern noch von Soldaten oder irgendwelchen Verfolgern zu hören.«
Kell kam näher. »Wir werden es uns nicht zu behaglich machen, Jungchen. Wir essen, dann ziehen wir weiter.«
»Wir werden erfrieren!«
»Entweder das oder hier sterben«, erwiderte Kell. »Denn ich sage dir, es ist nur eine Frage der Zeit, bevor dieser Mistkerl Graal uns jemanden …«, sein Lächeln wurde breiter, »oder irgendetwas hinterher schickt.«
»Und der Junge?«
Kell sah den Schmerz in Saarks Augen. Er seufzte und fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes, grau meliertes Haar. »Der Junge kann uns begleiten. Aber ich warne dich, wenn er mir im Wege ist oder einer von euch beiden mich aufhält, dann lasse ich euch beide zurück.«
»Du glaubst wirklich, dass du schneller reisen könntest als ich?«, stammelte Saark. »Mann, ich bin fast dreißig Jahre jünger als du!«
Kell beugte sich dicht zu ihm hinunter. »Ich weiß, dass ich schneller bin, Jungchen«, höhnte er. »Und jetzt sieh zu, dass du etwas Warmes in den Bauch bekommst. Vor uns liegt eine lange, anstrengende Reise.«
Sie zogen weiter durch den Wald, und als der Morgen graute, drangen zaghafte Sonnenstrahlen durch die dichte Bewölkung. Sie konnten die fernen Mauern von Alt Skulkra immer noch sehen.
Saark befahl anzuhalten und winkte Kell zu sich. Kell trat näher, die Axt in der Faust und mit finsterem Blick. »Was gibt es?«
Saark deutete nach vorn. In der Ferne hockten die Blutraffinerien wie obszöne Knochenplatten auf der Ebene, die von Göttern geschaffen worden waren. »Ich habe vor, mich dort ein wenig umzusehen«,
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