Kells Rache: Roman (German Edition)
aktuelle Problem jedoch war Skanda. Kell wusste in seinem Innersten, dass Saark den Jungen nicht im Stich lassen würde, während so viele Albino-Soldaten und Canker den Wald nach ihnen durchkämmten. Aber der Junge würde Kell aufhalten. Dadurch konnte Nienna sterben … Ein Problem, das man seiner Meinung nach recht einfach lösen konnte.
Kell kratzte sich den Bart. Er bemerkte, dass er Ilanna immer noch umklammerte. Ihre Klingen schimmerten im Feuerschein.
Ein anderes Problem gab es allerdings auch noch. Wie lange würde es dauern, bis Graal durch Folter Informationen aus diesem dürren Knaben herausbekommen hatte, wenn er den Jungen zurückließ? Saark hatte Skanda bereits genug von ihrer Geschichte verraten, um den Jungen zu einer Bedrohung zu machen. Was bedeutete, ihm, Kell, blieb nur eine einzige Möglichkeit.
Er trat einen Schritt näher. Skanda blickte immer noch nicht hoch. Er zerlegte geschickt das letzte Kaninchen. Bei dem Geruch von frischem Kaninchenfleisch zuckte Kells Nase, aber sein Verstand arbeitete schnell und war deshalb dem einfachen, animalischen Hunger immer einen Schritt voraus.
»Du willst deine Enkelin retten?« Skanda blickte plötzlich hoch. Kell nickte, und Skanda ließ den Kopf wieder sinken. Das Messer schnitt und klickte.
»Ja. Sie wird ohne mich sterben. Sie wurde vergiftet.«
»Saark sagte, sie würde am Cailleach-Pass festgehalten. Das ist doch der Weg zum Schwarzspitz-Massiv, stimmt’s?«
Kell lächelte grimmig. Verdammt sollst du sein, Saark!, dachte er.
»Ja.« Seine Stimme war ein leises Flüstern. Das Feuer knisterte, und sein Licht schimmerte in Kells dunklen Augen. Jetzt wirkte er nicht mehr wie ein Held aus den Legenden. Hier, in dieser verfallenen Kate mitten in der Nacht, während er seine dämonische Axt umklammerte und für einen so großen Mann unheimlich still war, wirkte Kell unendlich viel bedrohlicher.
»Ich hatte auch einmal einen Großvater. Er war dir sehr ähnlich«, meinte Skanda unschuldig, ohne auf die tödliche Bedrohung zu achten, die nur wenige Zentimeter, nur wenige Herzschläge von seiner zarten und zerbrechlichen Existenz entfernt lag. »Aber er ist gestorben, schon vor langer Zeit. Ich dachte immer, er wäre so stark wie zehn Männer, aber am Ende hat das Alter ihn niedergeworfen. Sein Verstand ist gebrochen, und er konnte fortan nicht mehr sprechen. Er hat am Feuer gesessen, geschaukelt und gesabbert. Es war derselbe Mann, der am Tor von Tellakon einhundert Feinde niedergemacht hat. Eine Tragödie.«
»Eine Tragödie«, stimmte Kell zu. Er sprach leise und verlagerte sein Gewicht ein bisschen nach links, um mehr Platz für den Schlag zu haben. Kell leckte sich die Lippen. Er würde den Jungen töten. Er würde ihn enthaupten. Es wäre eine saubere Angelegenheit. Und schnell. Und weit menschlicher, als das Kind zurückzulassen, damit es von den Cankern niedergemetzelt würde … genauer, bei lebendigem Leib gefressen wurde.
Kell packte seine Axt fester. Seine Augen wurden hart. Er hob Ilanna. Das Licht des Feuers schimmerte auf den Schmetterlingsklingen. Kell entspannte sich und bereitete sich auf den Schlag vor …
Saark schlich wie ein Geist rund um ihr Lager und blieb gelegentlich stehen, um zu lauschen. Der Schneefall dämpfte zwar die Geräusche, war jedoch gefährlich, weil er zerbrechliche Zweige und Hindernisse am Boden bedeckte, die möglicherweise Saarks Position verrieten, wenn er darauftrat. Trotzdem ging er weiter, wachsam und aufmerksam, das schlanke Rapier in seiner kalten Hand, während er gleichzeitig scharf über Falanors problematische Lage nachdachte.
General Graal war in das Land eingefallen. Er hatte keinerlei Forderungen gestellt, sondern einfach die Bewohner abgeschlachtet.
Warum? Was wollte er?
Saark dachte weiter darüber nach, während er sich gelegentlich hinhockte. Einmal sah er eine Eule hoch oben in einem Baum. Mit ihren riesigen, gelben Augen betrachtete sie eine Welt, die, davon war Saark überzeugt, für diesen wilden Nachtjäger so hell war wie bei Tageslicht.
Unwillkürlich dachte Saark an Kell. Er drehte sich dorthin um, wo die verfallene Kate lag. Er erwog Kells Motive und dachte an Nienna, aber bei dem Gedanken an das Mädchen dachte er auch an Kat, und diese Erinnerung war zu schmerzlich.
Erst vor wenigen Tagen hatten Kell und seine Gefährten Saark, Nienna und Niennas beste Freundin Katrina versucht, König Leanoric vor der bevorstehenden Invasion der Albino-Soldaten unter General Graal zu
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