Kells Rache: Roman (German Edition)
liebsten das Gesicht mit einem Stein zertrümmert; ihr den Schädel gespalten und zugesehen, wie das Gehirn herausquoll. Doch dann atmete die Brigantin einmal tief durch, riss sich zusammen, bekämpfte das Böse in ihren Adern, in ihrer Seele. Und zwang sich zu lächeln.
»Danke«, sagte Nienna.
»Sei nur nicht zu dankbar«, erwiderte Myriam kalt. »Du bist nach wie vor meine Gefangene … so lange, bis der mächtige Kell auftaucht und uns einen Weg durch die Berge zeigt.«
»Trotzdem … Styx hätte mich …« Sie schüttelte sich.
Myriam lächelte. »Denk nicht darüber nach. Er ist ein schlechter Mann, das stimmt, aber es ist nichts Persönliches. Er hasst alle Frauen. Wenn ich darüber nachdenke, hasst er Männer auch.« Myriam drehte sich um und ging zwischen den Bäumen zurück zum Lager. Nienna folgte ihr auf dem Fuß. Das Mädchen zitterte immer noch.
»Warum bist du mit solch schrecklichen Kreaturen zusammen?« Nienna sprach leise, und ihre Stimme klang fast verschwörerisch. »Es muss doch deine Seele verdüstern, wenn du hinter jeder Biegung so viel Böses erlebst. Wenn du solche Schrecken mit ansehen musst und nichts tust, um ihm Einhalt zu gebieten.«
Myriam blieb unvermittelt stehen, und Nienna wäre fast gegen sie gerannt. »Ich habe dich gerettet, kleine Nienna, oder nicht?« Sie klang spöttisch, und ihre Augen blitzten verärgert. »Meine Seele wird verdüstert? Kind, du weißt nichts von mir oder von meinem Leben, meinen Ängsten, meinem Schmerz und meinen Leiden. Glaub nicht, dass ich plötzlich mütterlich werde, nur wegen dieses kleinen Moments der Schwäche, wegen dieses Aussetzers meiner Selbstkontrolle. Du bist aus einem ganz bestimmten Grund hier, und zwar sollst du Kell zu uns bringen. Deshalb habe ich dir geholfen. Dein Leiden kümmert mich nicht. Es wäre mir sogar lieber gewesen, wenn ich zugelassen hätte, dass Styx dich vergewaltigt … denn er hat recht. Es hätte dir zumindest deinen vorlauten Mund gestopft.«
Dann ging sie steifbeinig voraus und ließ eine verwirrte und verängstigte Nienna zurück. Diese folgte ihr, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie fühlte sich ganz und gar und niederschmetternd elend.
Kell schaffte es, immerhin eine Stunde lang zu schlafen. Er träumte. Er träumte von Ilanna, seiner Streitaxt; er träumte von Mord; er träumte von den Tagen des Blutes …
… Er steht mit hervortretenden Muskeln da, angespannt, als flössen Drogen und Gewalt durch seine Adern, sein ganzer Körper zittert, sein Verstand scheint zu flimmern, er kann sich auf keinen einzelnen Gedanken konzentrieren, wie ein Schmetterling, der von einem tosenden Sturm gepackt wird. Blut verschmiert sein Gesicht und seine Arme, und Kell blickt an sich herunter. Er ist nackt, vollkommen nackt, stolz und erregt. Sein ganzer Körper ist mit Blut beschmiert, blaue und grüne Muster sind auf seine Haut gemalt. Es handelt sich um sehr komplexe Muster, und er runzelt die Stirn. Er kann sich nicht erinnern, dass man ihn bemalt oder tätowiert hätte, andererseits ist das auch nicht wichtig, denn diese Schlangenlinien sind bedeutungslos … Kell springt von der Steinmauer hinunter auf die Straße, Ilanna in den Händen, das Gesicht zu einer wütenden Fratze verzogen. Flüchtlinge strömen an ihm vorbei, schluchzend, mit rußgeschwärzten Gesichtern. Hinter ihnen brennt die Stadt. Riesige Säulen aus Flammen erheben sich fauchend in den Himmel. Kell betrachtet die Frauen, Männer und Kinder, die an ihm vorbeiströmen, und dann sagt Ilanna etwas in seinem Verstand, etwas Beruhigendes, Zärtliches, und sie singt. Kell zuckt, ein Kopf rollt, Blut spritzt in einer Fontäne hoch, und Kell bewegt sich voran, lässt zu, dass der zuckende Körper sein Lebensblut über die Schmetterlingsklingen der gewaltigen Streitaxt spritzt …
… Mit einem erstickten Schrei richtete Kell sich auf. Er zitterte, und der Schmerz strömte durch ihn hindurch wie Honig durch ein Sieb; langsam, sickernd, verteilte sich beinahe zärtlich in seinen Gliedmaßen, Adern, Muskeln und Organen und drang sogar … bis in seine Knochen.
Es ist das Gift, sagte er sich.
Es wird schlimmer.
Er zog den Umhang fester um sich. Der Wind heulte. Kell leckte sich die Lippen. Was würde er für einen Schluck Schnaps geben. Bei allen Göttern, er würde für einen Drink töten. Dann lächelte er, und sein Gesicht wirkte schwarz im Mondlicht, während seine Augen funkelten wie die eines Dunkelteufels. Er erinnerte sich an die
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