Kells Rache: Roman (German Edition)
missbrauchten, würde er niemals aufhören, sie zu verfolgen. Er würde keine Ruhe geben, bis sie tot waren; schon jetzt wandelten sie auf dem schmalen Grat, den alten Krieger nur zu verärgern oder ihn in einen unerbittlichen, gnadenlosen Feind zu verwandeln, einen, der sie bis ans Ende der Welt verfolgte.
»Wenn du dem Mädchen etwas tust, wird Kell uns nicht helfen, Silvatal zu erreichen. Wenn wir Silvatal nicht erreichen, wirst du die Kontaktleute zu den Schwarzlipplern nicht erreichen, schon vergessen? Die Kontakte, die dich reich machen. Diejenigen, die dich zu den drei Königen der Schwarzlippler führen und all diesem kostbaren Gold, das sie horten.«
Styx erstarrte und kniff die Augen zusammen. »Was weißt du von den drei Königen?« Seine Stimme klang wie Nebel auf einem Friedhof.
»Ich weiß genug«, erwiderte Myriam, die immer noch auf Styx’ Gesicht zielte. In seinen Armen hatte Nienna aufgehört, sich zu wehren, aber das Messer drückte immer noch gegen ihren Hals. Es war eine sehr reale Bedrohung. Ein Schweißtropfen lief Myriam über die Stirn, und ihr Ellbogen zitterte leicht.
Das sah Styx und lächelte.
Myriam ließ die Sehne los. Mit einem Zischen pfiff der Pfeil durch die Luft, durchbohrte Styx’ Ohrläppchen und landete klappernd zwischen den Bäumen. Er schrie auf, und seine Hand zuckte unwillkürlich zu seinem Ohr. Dabei ließ er Nienna los. Die rannte zu Myriam und duckte sich hinter die Beine der großen Frau. Als Styx wieder hochblickte, hatte Myriam bereits einen anderen Pfeil eingenockt, dessen stählerne Spitze erneut auf sein Gesicht zielte. Ein Gesicht, das jetzt zu einer bösartigen Fratze verzogen war. Schlimmer jedoch war der Hass in seinem Auge, ein abgrundtiefer, funkelnder Hass. Obwohl Myriam diesen Blick schon tausendmal gesehen hatte, war er zuvor noch nie gegen sie gerichtet gewesen. Ihr wurde kalt. Styx war ein sehr gefährlicher Mann und einer, den sie sich nicht gerne zum Feind machte. Trotzdem. Falls Nienna irgendetwas zuleide getan wurde, würde das ihre Situation mit Kell in Mitleidenschaft ziehen, es würde ihre Suche nach den Vachine beeinträchtigen, und sie würde den nächsten Winter nicht überleben. Denn sie wusste so sicher, wie Wasser bergab floss, dass dies ihre letzten Monate auf Erden waren.
»Ich glaube, du hast gerade einen großen Fehler gemacht«, knurrte Styx. Er hob die Hände, und auf seinem Messer schimmerten ein paar Tropfen von Niennas Blut. »Aber keine Sorge, keine Panik, kleine Myriam. Ich bin keine Gefahr für dich. Mir sind die Kontakte mit den Schwarzlipplern und ihr Reichtum mehr wert als die Möglichkeit, dich im Schlaf zu ermorden.« Er warf Nienna einen verächtlichen Blick zu. »Oder ihren stinkenden Saft zu schmecken.«
Dann ließ Styx die Hände sinken und ging an Myriam und der geduckten Nienna vorbei. Nach wenigen Schritten verschwand er im Wald, und Myriam atmete langsam aus. Dann sah sie zu Jex hinüber.
»Das war keine gute Idee«, meinte der Stammesmann und erwiderte Myriams Blick.
»Glaubst du, das wüsste ich nicht? Hältst du mich für einen Dorftrottel?«
»Nein«, erwiderte Jex bedächtig. »Aber ich glaube, du hättest ihm ein bisschen Spaß mit dem Mädchen lassen sollen. Es hätte ihn bei Laune gehalten und dem Mädchen so schlimm auch nicht geschadet. Wie er sagte, es hätte ihren Mutwillen ein wenig gebrochen.« Er zuckte mit den Schultern. »Jetzt musst du auf der Hut sein, und zwar vor beiden.«
»Du kannst ja auch aufpassen«, erwiderte Myriam lächelnd.
Jex erwiderte das Lächeln nicht. »Einige Dinge im Leben muss man ganz alleine machen«, sagte er und verschwand zwischen den Bäumen.
Myriam ließ den Bogen sinken und schob den Pfeil in den Köcher zurück. Nienna trat vor sie, und ihre Hände zitterten. Sie blickte hoch, aber zuerst wollte Myriam ihren Blick nicht erwidern.
Schließlich sahen sie sich doch an, und Myriam betrachtete das große Mädchen vor ihr. Sie war hübsch, hatte ein rundes, etwas pummeliges Gesicht. Ihr braunes Haar glänzte und fiel ihr bis auf die Schultern, und ihre Augen leuchteten hellgrün, strahlend vor Jugend und Vitalität. Myriam hasste sie dafür, verachtete sie, war fast wahnsinnig eifersüchtig auf ihre Jugend, ihre Schönheit, ihre Kraft und ihre Gesundheit. Sie hatte all das, während Myriam langsam von innen aufgefressen, in eine Hülle aus zerstörten Zellen verwandelt wurde. Hass durchströmte Myriam, angestachelt von ihrem Neid, und sie hätte Nienna am
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